Beitragsfreier Kindergarten für Wien ab Herbst: Der "Kindergartenaufstand" spricht sich sehr wohl dafür aus, aber nur unter der Bedingung, dass er tatsächlich für alle eine gratis Bildungseinrichtung und nicht eine Aufbewahrungsstätte – wie zu Beginn des letzten Jahrhunderts – ist.

Wie kreativ und wütend und mutig die AufständlerInnen sind, wird sich im Herbst zeigen. Bis dahin wird immer wieder eine Aktionsgruppe des Kollektivs "Kindergartenaufstand" einer der Teilöffentlichkeiten zuwinken oder sie anstupsen - und auf alle Fälle informieren.

Foto: Flyer/Logo Kindergartenaufstand

Kinder machen Arbeit. Kinder schaffen Arbeit. Außerfamiliäre Kinderbetreuung ist jedoch ein Berufsfeld, das im Gegensatz zu anderen gesellschaftlich unabkömmlichen in seiner Selbstverständlichkeit bislang marginal, wenn überhaupt, thematisiert worden ist: Frauen betreuen Kinder – eine "natürliche" Sache, nur dass es eben nicht ihre eigenen sind. Nun aber rappelt es in der Spielzeugkiste und diejenigen, die üblicher Weise wieder für einen geregelten Ablauf sorgen, sind aufmümpfig geworden. In Wien zumindest, wo einige VorschulpädagogInnen – salopp und bezeichnender Weise oft "Tanten" und mit unter auch "Onkel" genannt – den Aufstand proben. Denn so "natürlich" wie in einer großen Familie gestaltet sich der Beruf dann doch nicht.

Arbeit ist Arbeit. Die AufständlerInnen haben die geringe Bezahlung, die unzureichende Förderung ihres Berufsstands wie auch die der Kinder, die politische Ignoranz gegenüber schwelenden Problemlagen und die neuen Kindergarten-Pläne satt. Wo sie die Schwierigkeiten im Einzelnen sehen und was sich ändern soll, hat Birgit Tombor für dieStandard.at wissen wollen und sich an den "Kindergartenaufstand" gewandt. Zwei der mittlerweile vielen in diesem Kollektiv Engagierten, Barbara Tinhofer und Kristina Botka, standen Rede und Antwort.

dieStandard.at: Was waren die Aulöser für die Gründung des "Kindergartenaufstands"?

Barbara Tinhofer: Zwei von sind erst vor kurzer Zeit in den Beruf gegangen, die Ausbildung haben wir beide vor längerer Zeit gemacht, ein Studium zwischengeschoben. Durch diese Distanz sind doch sehr schnell Mängel aufgefallen, die wir zu Beginn jedoch nicht verorten konnten. Wir haben uns gefragt: Was könnte besser laufen? Wieso sind so viele KollegInnen von Burnout betroffen? Wie ist das Bild der Kindergartenpädagogin in der Öffentlichkeit, wie die Strukturen im eigenen Betrieb und wie schaut's eigentlich in anderen Institutionen aus? Wir haben uns dann mit ehemaligen Mitschülerinnen getroffen, die schon lange im Beruf sind, um zu erfahren, wie es ihnen damit geht. Da ist uns schnell klar geworden, dass es strukturelle Mängel im Kleinkindbereich gibt, die alle Institutionen betreffen. Und durch diesen überinstitutionellen Austausch – da waren wir noch zu viert – ist auch schon die Wut, die jede einzelne von uns mehr oder weniger angesammelt hat, gewachsen und aus der Wut ist der Mut entstanden, etwas dagegen zu unternehmen und uns selbst zu ermächtigen, um an der Situation für uns im Beruf Arbeitenden und für die Kinder, die uns meist neun bis zehn Stunden täglich anvertraut werden, was zu ändern.

dieStandard.at: Welche Misstände prangert ihr im Einzelnen an?

Kristina Botka: Schlechte Bezahlung, zu viele Kinder in den Gruppen, zu wenig Personal, das schlechte Image unseres Berufes: Wir leisten hier gesellschaftspolitisch immens wichtige Arbeit, gestalten auf unsere Art die Gesellschaft von morgen mit und kriegen dann zu hören, dass das ein ganz süßer Beruf ist und wir sicher total liebe Menschen sind und ein bisschen spielen und singen den ganzen Tag auch sicher sehr viel Freude bringt. Niemand redet von der Bildungsarbeit, die wir leisten, von den pädagogischen Ansprüchen, die immer höher werden, von der vielen Vorbereitungszeit, vom Stress, von der Öffentlichkeitsarbeit etc.

Weg vom Frauchenbild

Die Kinderbetreuungssituation wirkt ganz stark auf die Geschlechterverhältnisse in Österreich ein: Kinder haben ständig Frauen um sich, die klassische Frauenarbeit machen und das bedeutet für die Mädchen und Buben ein sehr einseitiges Rollenvorbild. Ihre Eltern und das restliche soziale Umfeld verstärken durch entsprechende Kommentare dann auch noch das Bild der klassischen Kindergärtnerin. Dabei wird in meinem Kindergarten auch Technikmüll zerlegt, mit Bohrmaschinen gewerkt, Fußball gespielt oder mal englische Punkmusik gehört. Wir müssen wegkommen von diesem Frauchenbild und die aufständischen Kindergartenpädagoginnen sind am besten Weg da hin! Das freut mich sehr.

Tinhofer: Zunächst war uns wichtig, das Bild der Kindergartenpädagogin in der Öffentlichkeit zu korrigieren. Ich benutze bewusst die feminine Bezeichnung, da es sich um einen feminisierten Beruf handelt, der schlecht bezahlt wird, wo es kaum Aufstiegsmöglichkeiten gibt, weder finanziell, noch anderwärtig, der in Österreich ein schlechtes Image vermittelt und es deshalb kaum Kindergartenpädagogen gibt – etwa einen unter Hundert. Die Institution des Kindergartens und der darin Arbeitenden wird immer noch als extended family betrachtet. Ich sehe da schon auch einen Zusammenhang zur nicht Akzeptanz, zur nicht Bewertung der in den Familien Arbeitenden, die Versorgungsarbeit Übernehmenden, sprich Frauen. Immer ordentlich, adrett gekleidet und zurechtgemacht, einem gewissen Frauenbild entsprechend. Perfekter Haarsitz, angepasst und freundlich. Ich aber werde nicht für mein Lächeln bezahlt, sondern für meinen pädagogischen Einsatz. Was auch unglaublich ist und ich erst durch die Vernetzung gelernt habe: Es gibt ja in dem Beruf kaum Aufstiegschancen, die sich im Gehalt abzeichen. Selbst wenn du eine pädagogische Zusatzausbildung wie z.B. Sonder-und Heilpädagogik machst, schlägt sich das mit unter hundert Euro aufs Konto. Fortbildungen, wozu wir jährlich 12 bis 16 Stunden lang verpflichtet sind, müssen, abhängig von den Institutionen, entweder in der Freizeit, oder/und selbstbezahlt werden. Von Anrechnung der Zusatzausbildungen und/oder Fortbildungen keine Rede.

dieStandard.at: Wo liegen die größten strukturellen Schwierigkeiten für euch?

Mut zur Öffentlichkeit

Botka: Die größte Herausforderung ist die Vernetzung der PädagogInnen von unten. Wir wollen uns nicht abhängig machen von vorgefertigten, verkrusteten Strukturen, sondern die Basis dazu motivieren, sich zusammen zu "rotten". Also müssen wir über teils private, teils recherchierte Kontakte versuchen, Leute anzusprechen und zusammen zu bringen. Schwierig ist auch, dass die PädagogInnen verunsichert sind, wie sie sich wehren "dürfen" und können. Wir haben halt auch in der Schule zu wenig politische oder emanzipatorische Bildung und viele haben selbst das Bild der netten Kindergärtnerin verinnerlicht – anecken liegt einfach nicht jeder/jedem. Da müssen wir noch viel Ängste nehmen und erfahren, dass viele Leute hinter uns stehen, wenn sie merken, dass das alles auch für die Kinder und die gesamte Gesellschaft wichtig ist, was wir fordern.

Tinhofer: Klar war es einerseits kaum ein Aufwand, mal so viele KindergartenpädagogInnen zusammenzubekommen, die motiviert sind, was zu ändern, die Wut und Mut haben, sich über gewisse Angstmacherei ihrer Institutionen hinwegzusetzen und wie in einem demokratisch organisierten Land, ihre Arbeitsrechte in Anspruch zu nehmen und kreativ umzusetzen. Leider ist es so, dass hier von Mut gesprochen werden muss, das möchte ich hier auch nochmal erwähnen: Weil immer wieder von Seiten der ArbeitgeberInnen gedroht wird, falls die PädagogInnen an die Öffentlichkeit gehen und über ihre Arbeitsbedingungen sprechen. Wir bräuchten eine Juristin/einen Juristen, die uns hier die Angst nehmen und unsere Aufständischen über ihre Rechte aufklären.

Neue (Medien-)Bilder erarbeiten

dieStandard.at: Was muss sich ändern?

Botka: Das überschneidet sich teils mit dem, was wir kritisieren. Am wichtigsten ist wohl: mehr Personal in den Gruppen, kleinere Kindergruppengrößen, mehr Lohn, mehr Vorbereitungszeit, beispielsweise angeglichen an die Vorbereitungszeiten der LehrerInnen, regelmäßige Supervision, Unterstützung der Arbeit durch Fachkräfte aus dem Sonderpädagogischen Bereich und am Besten eine groß angelegte Imagekampagne!

Tinhofer: Ja, und um das Image zu ändern, müssen sich die im Kindergartenbereich Arbeitenden mal zeigen. Deshalb hat sich im Kollektiv bereits eine Aktionsgruppe gebildet, die selbst an einer Imagekampagne sowie neuen (Medien-)Bildern arbeitet. Ich hatte ein so schönes Erlebnis in Spanien, wo eine Kindergruppe angeführt von einer Frau lautsingend, lachend, schreiend und mit diversen selbstgemachten Instrumenten durch die Straßen gezogen sind. In Wien wirst du angehalten ruhig zu sein, dich anzupassen, was und wem auch immer. Also nicht nur das Image der braven, angepassten, sich immerzu gerne aufopfernden und dabei immer freundlich lächelnden Kindergartenpädagogin, sondern auch das der armen, kleinen süssen Kinder, die im Alter zwischen 0-6 Jahren kein Erinnerungsvermögen zu haben scheinen, zu verändern. Die Intelligenz der Kinder wird häufig unterschätzt. Denn dass beide Images längst überholt sind, das scheint klar.

Nein zu überfüllten Gruppen

Die Gruppengrößen und der Betreuungsschlüssel muss ganz schnell einem pädagogisch wertvollen, zur Arbeit mit dem Kind gemäßen Rahmen angepasst werden. Es muss möglich sein, dass die Kinder Zeit bekommen, auf sich selbst zu hören und dadurch auch lernen, Anderen zuzuhören, dass Kinder Fragen stellen lernen, weil es Zeit gibt, diese auch zu beantworten, welche, die Nein sagen lernen, weil es Zeit gibt, das Nein zu akzeptieren und andere Lösungen zu erarbeiten. Bei einem Setting von 20 bis 27 Kindern pro pädagogisch ausgebildeter Person ist das nicht möglich. Und schon gar nicht, wenn die KindergartenpädagogInnen nicht selbst ein Vorbild dahingehend sind. Aber auch die Lärmbelastung und die dadurch ausgeschütteten Stresshormone sind ein wichtiges Argument gegen überfüllte Gruppen.

dieStandard.at: Stichwort Gratiskindergarten: Eure Sicht darauf?

Botka: Uns ist uns natürlich bewusst, wie wichtig der Gratiskindergarten als Bildungseinrichtung besonders für die Lebensgestaltung von Frauen ist – hier werden sie ein Stück unabhängiger von Familie als Betreuungshilfe und auch das Rabenmutterimage wird angegriffen, wenn es normaler wird, dass Kinder auch vor dem dritten Lebensjahr außerhäusliche Bildungs– und Betreuungseinrichtungen besuchen. Wir sind nicht gegen den Gratiskindergarten! Wir fordern aber, dass der Gratiskindergarten tatsächlich für alle eine gratis Bildungseinrichtung und nicht eine Aufbewahrungsstätte – wie es zu Beginn des letzten Jahrhunderts war – ist. Also müssen gleichzeitig die Rahmenbedingungen dieser Institution erneuert werden. Geld muß her! Wenn selbst Banken Staatshilfe bekommen und Steuern in Werbekosten der Ministerien fließen, dann wird wohl auch Geld für die Bildung der Kinder da sein!

Tinhofer: Wir befürchten, dass mit dem Gratiskindergarten die Gruppen mit noch mehr Kindern angefüllt werden. Die Förderung der Stadt Wien sieht ja ab jetzt so aus, dass die Kindergärten die Förderung pro Kind bekommen. Das heißt, dass du, wenn du dir den Luxus leistest, wenige Kinder in einer Gruppe zu haben, es tatsächlich ein Luxus ist, den sich dann nur mehr Privatinstitutionen leisten können, die entsprechende Beiträge den Eltern abverlangen. Und das könne sich dann eben nur mehr einige wenige leisten. Also ist die Tendenz nicht nur im Universitären Bereich, sondern auch im Kleinkindbereich der einer Elitenbildung.

AMS-Crashkurse statt fundierter Ausbildung

Zudem steht schon jetzt kein pädagogisch ausreichend gebildetes Personal zur Verfügung – woher im Herbst eins nehmen? Dann kamen auch schon die ersten Informationen, dass das AMS qualitativ fragwürdige Crashkurse für nicht-pädagogisches Personal anbietet. Es ist momentan oft so, dass in Gruppen mit 15 bis 27 Kindern eine betreuerische Kraft, sprich jemand ohne pädagogische Ausbildung, in den Gruppen allein steht und natürlich komplett überfordert ist – die betreuerischen Kräfte, die uns PädagogInnen zur Seite stehen sollten, verdienen übrigens dermaßen schlecht, dass sie zum Prekariat gerechnet werden könnten. Auch das ist uns ein großes Anliegen, diese Gehälter und Rahmenbedingungen zu verändern und zwar zu einem lebbaren Arbeitsplatz für alle Beteiligten, nicht nur für die PädagogInnen.

dieStandard.at: Stößt ihr bei BerufskollegInnen überwiegend auf Zustimmung?

Botka: Ja, total! Auch die Leiterinnen sind teilweise sehr angetan von unserem Engagement, weil sie verstehen, dass wir nicht gegen die einzelnen Kindergärten, sondern für bessere Rahmenbedingungen kämpfen. Zu beachten ist jedoch, dass KollegInnen, die Vollzeit, oder auch weniger, in den Kindergärten stehen, oft wenig Energie über haben, sich in der Freizeit auch noch mit der Thematik auseinander zu setzen. Aber soweit, dass Aufrufe weitergeleitet oder weitererzählt werden, dass ehemalige SchulkollegInnen eingeladen werden und auch einmal wo ein Flyer aufgelegt wird, ist schnell mal jemand – und dann freuen sich die KollegInnen, wenn sie hören "Davon weiß ich doch schon!".

dieStandard.at: Welche Kigas sind bei euch vertreten, private oder auch städtische?

Botka: Aus beinahe allen TrägerInnenschaften! Beim letzten Vernetzungstreffen waren wir etwa sechzig Leute.

dieStandard.at: Bezieht sich das Tun vorrangig auf Wien? Ist die Berufssituation in anderen Bundesländern weniger angespannt?

Botka: Wir arbeiten halt in Wien, weil auch wir begrenzte Energie-, Zeit-, .. –ressourcen haben. Aber es gibt etwa in Salzburg auch schon einige politisch engagierte PädagogInnen, von denen wir wissen. Wir gehen auch davon aus, dass wir gut ein Vorbild sein können für die Bundesländer und kennen auch KindergartenpädagogInnen in den Bundesländern, weil einige von uns ihre Ausbildung nicht in Wien gemacht haben. Wir informieren also unsere KollegInnen, wo es geht.

Tinhofer: ... und freuen uns über Vernetzungsangebote von Aufständischen oder kritisch Denkenden im Kindergartenbereich.

dieStandard.at: Wie sieht die Vernetzung aus?

Botka: Wir stehen zwar schon noch am Anfang, aber wir haben schon die Erfahrung gemacht, dass die PädagogInnen derzeit sehr motiviert sind, etwas auf die Beine zu stellen, weil die Wut einfach so groß ist, dass hier so über uns hinweg bestimmt wird. Unser großes Ziel ist, dass wir nicht einmal mehr den organisatorischen Rahmen der Vernetzung bieten müssen, damit diese funktioniert und wir sind am Besten Weg dahin.

Tinhofer: Der emanzipatorische Charakter des Internets ist noch nicht ganz tot, aber auch von Seiten der Eltern bekommen wir viel Unterstützung bis jetzt, weil sie wissen, es geht um die Verfassung ihrer Kinder.

dieStandard.at: Woran macht ihr das fest, dass sich gerade jetzt etwas im Bereich vorschulischer Pädagogik bewegt, siehe deutsche ErzieherInnenstreiks, aber auch Fokussierung der Politik auf den Bereich hierzulande?

Pädagogik an aktuellen Wissensstand anpassen

Botka: Die Wirtschaftskrise lässt auch die Ansprüche auf das Bildungssystem in die Höhe schnellen – wir bemerken auch bei den Eltern einen immensen Druck, ihren Kinder die bestmöglichste Bildungslaufbahn zu bieten, damit diese dann für ihre Karrierewege gute Chancen haben. Was auf den Unis durch Bolognaprozess und neue Hochschulgesetze passiert, passiert halt im Kindergarten auf anderem Weg. Es geht meiner Meinung nach von Außen weniger um die neuen pädagogischen Ansprüche, um Chancengleichheit oder um vielfältige Erfahrungsräume, sondern mehr um Leistungsanforderungen. Dreijährige sollen möglichst schon Englisch lernen und Fünfjährige sollen Schulvorbereitungsmappen anlegen. Dass Kinder durch Bewegungsvielfalt und Wahrnehmungstraining, durch Sprachspielereien und Kreativitätsangeboten möglicherweise nachhaltiger lernen, kommt nicht an. Die PädagogInnen als ExpertInnen wissen aber, dass es genau darum geht und müssen nun ihre eigenen Ansprüche an die Arbeit mit den Kindern verteidigen – und nicht zuletzt ihren eigenen Berufsalltag "retten".

Tinhofer: Der Bildungsbegriff wird seit der Pisastudie, die ja alle drei Jahre seit 2000 durchgeführt wird, immer wieder diskutiert. Dass es Medienbilder gibt, von Kindern die alle augenscheinlich gespannt und konzentriert vor einem Vorschulblatt sitzen, wo sie z.B. die entsprechenden Kleidungsstücke der entsprechenden Jahreszeit zuordnen müssen, wo ein Hase den Weg durch ein Labyrinth zur Karotte finden muss, oder wo am laufenden Band Schablonenbilder ausgemalt werden, um die Kinder ruhig zu halten – dass das nicht die Bildung ist, die der Kindergarten anbietet, dass der Bildungsbegriff, den wir meinen, der entwicklungspsychologisch und auch neurologisch untermauert, ganz viel mit Bewegung und Körpererfahrung, sozialer Kompetenz, Kreativitäts-, Wahrnehmungs- und Sinnesförderung zu tun hat, die Komponenten also, die zum Spracherwerb, Kreativitätserwerb und mathematischem Wissen führen, da sind viele EntscheidungsträgerInnen offensichtlich nicht auf dem neuesten Stand des Wissens.

dieStandard.at: Haben sich die Arbeitsbedingungen derart verschlechtert, dass reagiert werden muss, ist es ein gesellschaftspolitisches Umdenken, oder ein (von mir einmal so angenommener) vermehrter Berufseinstieg von ausgebildeten PädagogInnen, die vormals branchenfern tätig waren?

Politische Bildung

Botka: Ich würde das auf keinen Fall an "branchenfernen" PädagogInnen festmachen – da wird ja schon wieder das Image der unpolitischen Frau herangezogen! Die Arbeitssituation verschärft sich und es wird nun eine Möglichkeit gesehen – auch durch das Vorbild der deutschen PädagogInnen – sich zu wehren! In Österreich ist die Tradition von Arbeitskämpfen vielleicht nicht so umfangreich, aber irgendwann muss sich auch das ändern.

Tinhofer: Ich nehme an, dass der Ausruf des Gratiskindergarten in Wien hier schon ein Anlass war, sich als ExpertInnen zu Wort zu melden und auf die Zerstörung der Bildungseinrichtung "Kindergarten" hinzuweisen. Da ja in anderen Bundesländern auch einiges an Aufstand oder Aufklärung passiert, weiß ich nicht, woran das jetzt genau festzumachen ist, dass gerade jetzt, die Öffentlichkeit am Thema interessiert ist. Vielleicht, auch weil wir andere Mittel der Vernetzung zur Hand haben, weil wir Medienkompetenz mitbringen, um für uns selbst zu sprechen und so viel mehr Menschen erreichen als noch vor 10, 15 Jahren. Auch die Politisierung und das Selbstverständnis ist sicher ein anderes als noch vor einiger Zeit. Aber, wie von Kristina schon erwähnt, das politische Verständnis, politische Bildung, muss erarbeitet werden, vor allem während der Ausbildung an Bakips (Bundeslehranstalten für Kindergartenpädagogik) wäre das besonders wichtig.

dieStandard.at: Welche Schritte habt ihr bereits unternommen, eure Anliegen an die politisch Verantwortlichen zu bringen?

Botka: Unser erstes Ziel ist, wie gesagt, die Vernetzung der Betroffenen. Auf die politisch Verantwortlichen werden wir stoßen, wenn wir unsere Forderungen immer mehr nach außen tragen.

Nicht mehr so tun als ob

Tinhofer: ... denn in der Politik wird oft nur vertreten, wer in der Öffentlichkeit schon eine Stimme hat. Und die wird von unserer Seite immer lauter.

dieStandard.at: Wie schätzt ihr den politischen Willen ein, merkliche Verbesserungen für KleinkindpädagogInnen zu setzen?

Botka: Man(n) wird uns nichts schenken – aber je größer der Druck von unten, umso eher wird die Bereitschaft da sein, etwas zu ändern.

Tinhofer: Es geht eben nicht nur um unsere Anliegen, sondern zugleich auch um die Verbesserungen für die Kinder, mit denen wir zusammenarbeiten. Und da wird die Lobby, also die Eltern, schnell wachsen. Denn geht's den KindergärtnerInnen gut, geht's den Kindern gut. Und wir wollen eben nicht mehr so tun, als ob's uns gut ginge. (bto/diestandard.at, 16.6.2009)