Täglich erhielten wir Besuch aus Traiskirchen. Aus dem Flüchtlingslager heraus wagten sich die Menschen nach Wien, weil sie gehört hatten, dass es eine Flüchtlingszeitung geben wird. Mit einer Mischung aus Bewunderung, Stolz und Angst beobachteten die Mitarbeiter der Bunten Zeitung im April 2000, wie es die jungen, afrikanischen Männer in dem Gewimmel in den Wiener U-Bahnen schafften, unser migrationspolitisches Magazin zu verkaufen.

Die Hälfte des Verkaufspreises für die Verkäufer, die andere Hälfte für die Zeitung. Wir schufen aus dem Nichts heraus eine schlechte finanzielle Überlebensmöglichkeit, einen „Job“ und keine „Lohnarbeit“: Zu den besten Zeiten lebten in Folge um die Hundert Flüchtlinge als Kolporteure und dreißig bis vierzig AutorInnen aus aller Herren Länder von der Zeitung. Das Team mußte den Vorstand mühsam überreden, dass es notwendig sei, die Flüchtlinge, die nach zwei Monaten im Caritasheim platzbedingt plötzlich auf der Straße standen und zum Teil noch jahrelang auf ihr Asyl warten würden, existenziell zu unterstützen.

"Schwoarze" Augustin-VerkäuferInnen

Es gelang uns auch, die gar nicht erfreuten Augustin-Vertriebsleute („Wir können kein Englisch!“) zu überzeugen, unseren erfolgreichen Verkäufern der ersten Stunde eine Chance zu geben. Seitdem gibt es „schwoarze“Augustin-VerkäuferInnen in den U-Bahn-Stationen, der direkte Kontakt zur Bevölkerung ist da.

Wie arrogant klingt es hingegen, wenn der EU-Abgeordnete Swoboda im Fernsehen vom österreichischen Arbeitsmarkt redet, der vor dieser Handvoll Flüchtlinge geschützt werden müsse. Denn es geht ja bei der EU-Asylrichtlinie zum Thema Flüchtlingsarbeit nur um die Möglichkeit, während der Wartezeit auf die Asylentscheidung finanziell überleben zu dürfen. 

Bis ins hohe Alter

Viele wissen, wie schwer es ist, einen legalen Arbeitsplatz zu ergattern. Als in den 70er Jahren Flüchtlinge aus Pakistan, Indien, Ägypten oder Syrien kamen, durften sie stante pede als Zeitungskolporteure für Krone und Kurier arbeiten. Bis heute gab es keine Probleme mit den Behörden. Mit geringem Fixum plagten sich diese „selbstständigen Unternehmer“ in den Abgaswolken der Wiener Straßen. Heute leiden viele dieser ehemaligen Flüchtlinge aus der „Parallelgesellschaft“ der Kroneverkäufer an Berufskrankheiten, sprechen wenig deutsch und erhalten keine Pension - aus diesem Grund sieht man noch viele Kolporteure im höheren Alter.

Dichands Konzept ging auf: Die Krone wurde der Schlager, wohl auch durch den Zeitungsverkauf von um die 1000 Kolporteuren direkt an den Bürger auf der Straße.  Aus dem Kompromis, einer schlechten Arbeitsmöglichkeit für Flüchtlinge, wurde ein Fixum mitten in der österreichischen Gesellschaft. 

ÖVP lehnt sich zurück

Die Europäische Union tut sich seit Jahren schwer, einheitliche Regeln für den Umgang mit Flüchtlingen einzuführen. Die Länge der Schubhaft differiert zum Beispiel stark in den einzelnen Ländern. Trotzdem richten viele Flüchtlings-NGOs ihre Hoffnung auf die EU, denn die nationale Gesetzgebung wird noch direkter von wirtschaftlichen Interessen gesteuert. So konnte sich die ÖVP, zwischen der Arroganz der SPÖ, die nur für Paßinhaber sozial sein will, und der Koketterie mit dem Faschismus durch einzelne FPÖler, bequem zurücklehnen: Als angeblich „neoliberale Mitte“konnte sie bei der EU-Wahl Stimmen kassieren. Der ehemalige „Sicherheitsminister“ Strasser scheint zu wissen, wie der Markt funktioniert: Wenn die ideologische Abwehr hoch geschraubt wird, sinken die Preise am „Schwarzmarkt“ für billige Arbeitskräfte.

Sogar Kronezeitungs-Redakteur Claus Pandi gab im Club 2 zum Thema „EU-Asylrechtlinie“ zu, zu wissen, dass in mehreren Branchen (Gastwirtschaft, Landwirtschaft, Bauindustrie…) alles liegen und stehen bleiben würde – ohne die billige Arbeit der Flüchtlinge und anderer Einwanderer. Es wäre an der Zeit, bestimmte Arbeitsformen zu legalisieren, und nur human, auf den dadurch erzielten Profit zu verzichten. (derStandard.at, 12.6.2009)