ElBaradei beim Interview: Der ägyptische Jurist und Diplomat wird nach zwölf Jahren an der IAEO-Spitze und nach 25 Jahren im Haus in Pension gehen. Wien wird er jedoch treu bleiben.

Foto: Heribert Corn

"Auf mich wird jeden Tag Druck ausgeübt, und da muss man es schaffen zu sagen: Lass mich in Ruhe."

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"Obama versteht den Link zwischen Armut und Gewalt.
Armut ist die Mutter aller Massenvernichtungswaffen."

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Nicht von allen geliebt, aber respektiert sieht sich der scheidende Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohamed ElBaradei. Auf US-Präsident Barack Obama setzt er große Hoffnungen, sagte er Gudrun Harrer.

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STANDARD: Sie verlassen in Kürze die IAEO nach zwölf Jahren als ihr Generaldirektor. Noch immer ist Ihre Nachfolge ungeregelt.

ElBaradei: Das macht mir große Sorgen. Die Person, die übernimmt, muss einigend wirken. Unabhängigkeit ist der Schlüssel. Viele Länder hier mögen mich nicht besonders, aber ich denke, ich bin respektiert. Niemand kann uns vorwerfen, dass wir parteiisch sind oder eine versteckte Agenda haben. Glaubwürdigkeit ist unsere Stärke. Die Person muss das Vertrauen des Nordens und des Südens habe – leider haben wir im Moment ein großes Misstrauen zwischen den Seiten. Sie brauchen einen Manager, der den politischen Hintergrund hat, die Komplexität zu verstehen, der einigend wirkt – und dann auch noch den Mut hat, seine Stellung zu behaupten. Auf mich wird jeden einzelnen Tag Druck ausgeübt, und da muss man es schaffen zu sagen: Lass mich in Ruhe. Ich hoffe, wir finden bald die richtige Person. Die Regierungen sollten zusammenkommen und sich auf einen Konsenskandidaten einigen.

STANDARD: Was hat sich in den vergangenen zwölf Jahren geändert, was sind die neuen Herausforderungen für die IAEO?

ElBaradei: Eine davon ist, an der Neugestaltung einer neuen globalen Sicherheitsordnung mitzuwirken. Die Hoffnungen nach dem Ende des Kalten Kriegs auf eine neue Welt, basierend auf Gerechtigkeit, Sicherheit und Menschlichkeit, haben sich nicht erfüllt, wir sind gescheitert. Wir sehen eine fragmentierte Welt, voll von Konflikten, die den Radikalismus anheizen. Wir sind den Albtraum eines Ost-West-Konflikts losgeworden, aber er wurde von anderen Unsicherheiten abgelöst. Eine davon ist die Gefahr, dass extremistische Gruppen in den Besitz von nuklearem Material oder radioaktiven Quellen – für "schmutzige Bomben" – kommen könnten. Bei nuklear bewaffneten Staaten gibt es das Konzept der Abschreckung, aber das gilt nicht für diese Gruppen.

STANDARD: Hat sich an der traditionellen Rolle der IAEO als Wächter über die staatliche Nichtverbreitung etwas geändert?

ElBaradei: Wir sehen ein neues Phänomen, das sich ausbreiten könnte: Dass Staaten sich nicht gleich Waffen anschaffen, aber bis an die Grenze gehen. Iran hat dieses Problem sichtbarer gemacht – obwohl es das ja bei anderen Staaten seit langem gibt, dass man noch immer Teil des Non-Proliferation Treaty sein kann, aber jeder weiß, dass man vielleicht in einem Monat Waffen haben kann. Ein virtuelles Atomwaffenprogramm, wie ich es nenne.

STANDARD: Warum wollen Länder das heute wieder eher offenlassen?

ElBaradei: Wir haben bei der nuklearen Abrüstung völlig versagt. Wir haben noch immer 27.000 Sprengköpfe. Das führt zur Entwicklung von Zynismus. Sie können nicht sagen: "Atomwaffen sind gefährlich und nicht gut für dich" , und gleichzeitig: " Die Welt ist gefährlich, wir werden unsere eigenen Atomwaffen weiter entwickeln." Besonders im Nahen Osten: Wenn wir gegen Iran vorgehen, oder jetzt Syrien, kommt ständig die Frage "Und was ist mit Israel?"

STANDARD: Aber Israel hat eben den NPT nicht unterzeichnet.

ElBaradei: Ja, das ist die rechtliche Situation. Aber der Mann auf der Straße sieht zweierlei Maß. Das Non-Proliferation-Regime im Nahen Osten ist legal, aber es hat seine Legitimierung in den Augen der Bevölkerung verloren.

STANDARD: Abrüstung, Iran, Nahost – der neue US-Präsident hat da viel vor, sehen Sie Hoffnung?

ElBaradei: Zum ersten Mal habe ich wieder Hoffnung. Ich unterschreibe alles, was er gesagt hat, die Verpflichtung der Atomwaffenstaaten zur Abrüstung, die Verbindung zwischen Abrüstung und Nichtverbreitung, ganz entscheidend auch der Link zwischen Armut und Gewalt und Unsicherheit. Das bringt mich auch zur Aufgabe der IAEO auf dem Gebiet der Entwicklung, was ich unsere "mother care" -Rolle nenne. Ich habe schon öfter gesagt, dass Armut die Mutter aller Massenvernichtungswaffen ist.

STANDARD: Was kann Obama tun, um die IAEO als Institution, die für Non-Proliferation zuständig ist, zu stärken? Manche Länder nehmen ihre Sache lieber selbst in die Hand, wie Israel, als es einen mutmaßlichen syrischen Reaktor bombardierte.

ElBaradei: Es ist Teil des Zynismus, dass das internationale Recht erodiert. Sehr wenige haben diese Verletzung internationalenRechts kritisiert. Es wird zum Luxus, jeder sieht sein direktes Interesse.

STANDARD: Aber der letzte IAEO-Bericht bestätigt, dass von syrischer Seite Erklärungsbedarf besteht.

ElBaradei: Im Fall eines Proliferationsverdachts hätten sie zu uns kommen sollen. Wir hätten feststellen können, ob es sich um einen Reaktor handelt. Jetzt stehen wir vor der unmöglichen Aufgabe festzustellen, was dort einmal gewesen ist.

STANDARD: Sehen Sie auch Chancen der neuen US-Politik zum Iran?

ElBaradei: Die Iran-Strategie der letzten sechs Jahre ist gescheitert. Die Prämisse war ja, dass der Iran nicht einmal das Know-how bekommen sollte. Wir haben eine Reihe offener Fragen mit dem Iran, und sie müssen erweiterte Inspektionen zulassen. Aber ganz offen: 2005 wurden wir attackiert, als wir sagten, wir sehen keine Hinweise auf ein Atomwaffenprogramm. Heute sind die USA wieder dorthin zurückgekommen, wo wir waren. Wir wissen nicht, ob es ein Atomwaffenprogramm gibt. Aber selbst im schlimmsten Fall – dass sie die IAEO hinauswerfen und den NPT verlassen – haben sie nicht mehr Material als für eine Bombe.

STANDARD: Immerhin.

ElBaradei: Ich sage ja, die Iran-Politik ist gescheitert. Aus einer Mischung aus Arroganz und Ignoranz: Man kann nicht von einem Land verlangen, das Wissen nicht zu haben. Für mich war immer klar, dass der einzige Weg umfassende Gespräche sind, für die Entwicklung eines neuen robusten Sicherheitssystems im Nahen Osten.

STANDARD: Wissen Sie schon, was Sie in der Pension machen werden?

ElBaradei: Ich habe etliche Lehr-Angebote, und ich würde gerne ein Buch schreiben. Auf alle Fälle werde ich weiter öffentlich reden, laut und deutlich und freier als jetzt. Was ich weiß ist, dass ich wahrscheinlich die meiste Zeit in Wien verbringen werde. Hier ist mein Lieblingskaffeehaus, mein Lieblingsorchester und mein Lieblingsmuseum. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.6.2009)