Bild nicht mehr verfügbar.

Am Beispiel des Wasserläufers wurde eine der beiden Theorien der Verhaltensbiologie nachgewiesen: Je mehr Nahrung Tiere haben, desto mehr Energie investieren sie in den Nachwuchs.

Foto: AP/Eckehard Schulz

Mit einer Simulation wurde erstmals nachgewiesen, dass Tiere sich sowohl als auch verhalten können.

* * *

Je unsicherer die Lebensbedingungen, desto flexibler sollte man sein, um trotzdem mit ihnen zurechtzukommen. Das gilt für alle anderen Lebewesen, weil nur anpassungsfähige Organismen überleben. Im Unterschied zur Finanzwelt bedeutet "Erfolg" im biologischen Sinne nicht ausschließlich das eigene Überleben und das Anhäufen von Ressourcen, sondern eine möglichst große Zahl von Nachkommen. Die Produktion von Sprösslingen jedoch - egal, ob es sich um Sämlinge, Kaulquappen oder Menschenkinder handelt - erfordert eine Menge Energie. Steht von dieser wenig zur Verfügung, kann es durchaus vorteilhaft sein, vorübergehend auf Vermehrung zu verzichten und sich erst einmal um sich selbst zu kümmern.

Unter welchen Umständen Organismen eher in Nachwuchs oder eher in das eigene Überleben investieren, ist eine zentrale Frage der Biologie. Es gibt zwei Theorien dazu, die einander allerdings widersprechen: Die eine besagt, dass Tiere umso mehr in Nachkommenschaft investieren, je mehr Nahrung ihnen zur Verfügung steht. Dafür gibt es auch empirische Beispiele, wie etwa die parasitische Brackwespe, die ihre Eier in Taufliegenlarven legt, oder Wasserläufer, Insekten, die buchstäblich auf dem Wasser gehen können.

Die andere Theorie geht davon aus, dass Tiere genau dann alle Energie für Nachwuchs aufwenden, wenn die Umweltbedingungen so schlecht sind, dass das eigene Überleben unwahrscheinlich wird. Auch dafür gibt es zahlreiche Beispiele, zum Beispiel den Braunbinden-Wellenstriemenspanner, einen Nachtfalter.

Häufige Schwankungen

Im Rahmen eines FWF-Projektes haben sich Barbara Fischer, Barbara Taborsky und Ulf Dieckmann vom International Institute of Applied Systems Analysis (IIASA) in Laxenburg der Fragestellung mathematisch angenommen und sind zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen: Sie simulierten dazu eine Umwelt, die häufigen Schwankungen unterworfen ist und dementsprechend unterschiedliche Nahrungsmengen zur Verfügung stellt. In dieser Umwelt leben simulierte Organismen, die bereits geschlechtsreif sind und deren Überlebenswahrscheinlichkeit steigt, je mehr Energie sie sich zuführen. Was die Entscheidungen zwischen Überleben und Fortpflanzung angeht, wählten die Forscher ein Optimalitätsmodell: Sie berechneten, welche der beiden Entscheidungen in der jeweiligen Umwelt Nahrungssituation die höchste Fitness - also die meisten Nachkommen auf längere Sicht - bringt.

Solche Energieaufteilungsmodelle werden in den verschiedensten Ansätzen seit mindestens dreißig Jahren gemacht, doch großteils gingen die bisherigen Modelle von einer konstanten Umwelt und einer fixen Aufteilung der Nahrung in Fortpflanzung und Selbsterhalt aus. Die IIASA-Forscher hingegen erlaubten in ihrem Modell plastische Entscheidungen - und siehe da: Plötzlich scheinen die beiden eingangs erwähnten Theorien sich nicht mehr auszuschließen. Der Verlauf der Energieaufteilung mit zunehmender Nahrungsverfügbarkeit ist nämlich mehr oder weniger U-förmig, was bedeutet: Sowohl bei sehr hoher als auch bei sehr geringer Nahrungsverfügbarkeit wird der größte Teil der Energie in Fortpflanzung gesteckt.

Wenig Vermehrung

Dazwischen jedoch, also bei mittlerem Nahrungsangebot, wird wenig auf Vermehrung geachtet, ja sie kann sogar völlig ausgesetzt werden. Bemerkenswert ist dabei, dass die Übergänge zwischen den einzelnen Phasen recht abrupt sind, also schon kleine Änderungen der Umwelt können unter Umständen massive Folgen auf die Fortpflanzungsbereitschaft haben.

In dem neuen Modell fügen sich die beiden widersprüchlichen Theorien zur Energieaufteilung plötzlich zu einer zusammen. Es gibt auch einen lebenden Organismus, an dem sich die theoretischen Ergebnisse praktisch nachweisen ließen. Rädertierchen sind mikroskopisch kleine Tiere, die zu den Würmern gehören und mit etwa 2000 Arten verschiedenste Gewässer und feuchte Moose besiedeln. Setzt man solche Tiere unterschiedlichen Nahrungsmengen von sehr wenig bis zum Überfluss aus, zeigt sich Folgendes: Bei schlechter Versorgung investieren die Tiere sehr wohl in Fortpflanzung, bevor sie - meist kurz darauf - sterben. Bei steigendem Futterangebot jedoch sinkt die Reproduktionsrate. Erst bei "all you can eat" werden wieder sehr viele kleine Rädertierchen produziert.

Die Ergebnisse der Forschungsarbeit erschienen kürzlich in der hochangesehenen Fachzeitschrift The American Naturalist. (Susanne Strnadl/STANDARD, Printausgabe, 10.6.2009)