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EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso.

Foto: Reuters

Brüssel/Berlin/Paris/Wien - Das Ritual lief nach dem bekannten Schema ab. Er habe Kommissionspräsident José Manuel Barroso (53) gefragt, ob er bereit für eine zweite Amtszeit sei, und „ich freue mich, Sie zu informieren, dass er das positiv beantwortet hat", sagte der tschechische Premier und amtierende EU-Ratsvorsitzende Jan Fischer am Dienstag in Brüssel vor der Presse. Barroso selbst begründete seine erneute Kandidatur damit, dass in Krisenzeiten eine „starke Kommission und eine starke EU" notwendig seien. Er dürfte seine Chancen für eine Wiederwahl sorgfältig sondiert haben, bevor er sich öffentlich festlegte.

Nach dem gemeinsamen Brüssler Auftritt reisten Fischer und Barroso nacheinander nach Berlin. Dort sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Treffen mit Fischer, dass Barroso „Unterstützung hat, jedenfalls von meiner Seite".
Das kann auch so interpretiert werden, dass die seit längerem signalisierte Einigung zwischen Berlin und Paris über eine Wiederwahl Barrosos wackelt. Anfang März hatte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy Zweifel über eine Unterstützung Barrosos aufkommen lassen. Dabei geht es vor allem um den Termin. Juristen sehen Probleme, wenn der neue Kommissionspräsident nach geltendem Nizza-Vertrag gewählt wird, danach aber der Lissabon-Vertrag in Kraft tritt.
Nach bisherigem Fahrplan soll der neue Kommissionschef beim Brüsseler Gipfel am 18./19. Juni von den Staats- und Regierungschefs gekürt und etwa einen Monat später vom neuen EU-Parlament bestätigt werden.

Barroso hat nicht nur die Unterstützung der Regierungen großer EU-Länder wie Deutschland, Großbritannien, Polen und vermutlich auch Italien. Im Parlament hat die konservative Europäische Volkspartei (EVP), der Barroso angehört, ihre Position als stärkste Fraktion bei den Wahlen noch ausgebaut, vor allem wegen der starken Verluste der Sozialdemokraten.
Diese stellen keinen eigenen Gegenkandidaten auf, wollen Barroso wegen seiner Positionen aber auch nicht mitwählen, wie ihr bisheriger Fraktionschef Martin Schulz der Financial Times Deutschland sagte. Dagegen hätte Österreichs sozialdemokratischer Kanzler Werner Faymann nach Angaben seiner Sprecherin „nichts gegen eine weitere Amtszeit Barrosos".

Unterdessen versuchen die Grünen eine Front gegen Barroso zu zimmern, dem sie unter anderem Opportunismus vorwerfen. „Ich möchte Barroso aus einem sehr einfachen Grund loswerden", sagte der französische Grüne Daniel Cohn-Bendit am Dienstag in der Pariser Zeitung Libération: „Er ist unfähig, eine Position beizubehalten." Als Beispiel nannte Cohn-Bendit Barrosos Haltungsänderungen zur Regulierung der Märkte und zum Klimaschutz.

Die österreichische Grüne Ulrike Lunacek wiederum kreidet Barroso „Versagen in der Finanz- und Wirtschaftskrise" und seine Pro-Atomkraft-Haltung an. Die EU-Grünen würden alles daran setzen, „gemeinsam mit den Sozialdemokraten, den Liberalen und der Linken eine Plattform für eine politische Wende zustande zu bringen".

Als Gegenkandidat im Gespräch ist der liberale belgische Ex-Premier Guy Verhofstadt. Die vier genannten Fraktionen bleiben zusammen allerdings deutlich unter der absoluten Mehrheit von 369 Abgeordneten und wären allenfalls auf die - sehr problematische - Unterstützung von Radikalen und „Exoten" angewiesen. (Josef Kirchengast, DER STANDARD Printausgabe, 10.6.2009)