Viele Märchen sind ohne Wald gar nicht denkbar. Man stelle sich bloß das Rotkäppchen vor, dem sich ohne Wald gar nicht die Möglichkeit auftäte, durch denselben hindurchzulaufen. Stattdessen könnte es auf einem fein asphaltierten Radweg kommod zur Omama rollen. Oder Hänsel und Gretel, die über endlos weite, saftige Wiesen jederzeit wieder mühelos zu den bösen Eltern zurückgefunden hätten, ohne dass der Einsatz von Brotkrumen nötig gewesen wäre. Der böse Wolf und die Kannibalenhexe, sofern sie ohne Wald überhaupt existiert hätten, wären einsam verhungert, niemand hätte von ihnen auch nur eine Randnotiz genommen. Der Wald aber ist dunkel und kalt, erschwert die Orientierung, ist von Natur aus ein finsterer Geselle. (Heute, wo wir längst nicht mehr an Märchen glauben, ist der Wald natürlich ein "wesentlicher Biomasselieferant, Garant für sauberes Wasser und reine Luft, Lebensraum für eine Vielfalt an Pflanzen und Tieren und hat in gewissen Lagen eine lebensrettende Schutzwaldfunktion". Aber das ist im journalistisch buchstäblichen Sinne eine andere Geschichte.)

Was den Wald hauptsächlich ausmacht, sind die vielen Bäume. Vor denen sieht man wiederum oft deren Ganzes, eben den Wald, nicht mehr; ein vielberedter und vielbeklagter Umstand, zu dessen Überwindung es oft gut tut, einen Schritt zurück zu machen.

Dass Werner Faymann die gerade stattfindende "Woche des Waldes" so vorbildhaft ernst nimmt, indem er sich ohne Umwege in einen solchen hineinbegibt, dafür muss man ihm Respekt zollen. Allerdings scheint er jetzt nicht mehr so schnell hinaus zu finden.

"Offensichtlich ist es uns nicht gelungen, die Bedeutung dieser Wahl unserem Potenzial an WählerInnen ausreichend zu vermitteln und sie zu mobilisieren", schrieb der Kanzler am Wahlabend in einer Aussendung. Das ist einerseits eine sehr durchdachte Erklärung, denn hätte die SPÖ es vermocht, "die Bedeutung dieser Wahl" zu vermitteln, dann müsste es wohl einzig und allein am fehlenden "Potenzial an WählerInnen" gelegen haben, dass die Sozialdemokratie beim E-Urnengang so abstank.

Andererseits hat Faymann hier auch wieder nicht die richtigen Worte gefunden, richtig scharf nämlich - und richtig wahr. "Ich habe deshalb das A-Team aufgestellt, weil mir die EU an ebendiesem A. vorbeigeht" - das wären Worte gewesen, so konsequent und bleibend, wie sich Faymann das wohl auch von sich selber gewünscht hätte. Leider ließ er aber auch hier jegliche Schneid vermissen.

Er, dessen märchenhafter Aufstieg von Onkel Hans' Gnaden so reibungs- und beispiellos vonstatten ging, läuft nun Gefahr, wie schon sein Vorgänger langsam aber sicher von den eigenen Leuten still und stumm im Wald stehen gelassen zu werden. Das Märchen droht unschön zu Ende zu gehen.

Der Wald aber bleibt. Und der Koalitionspartner lacht sich einen Ast. (Martin Putschögl, derStandard.at, 9.6.2009)