Ohne Muslime wäre Strache "ein Nichts", sagt Riswan Elekhanov.

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"Wainah" heißt "Unsere Leute". Gemeint sind damit TschetschenInnen und InguschInnen, die sich oft als ethnisch zusammengehörend betrachten.

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Gleich neben dem tschetschenischen Callshop werden "Russische Lebensmittel" verkauft. "Das täuscht", sagt Elekhanov: Er hat den Laden mitbegründet - und "russisch" sei schließlich alles, was heute in Tschetschenien gegessen wird.

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Elekhanovs Stammpizzeria "beim Russen"

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"Ich habe nichts gegen Russen. Nicht gegen die Zivilgesellschaft."

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"Ich habe einen Traum", sagt Riswan Elekhanov. Der 41-jährige Großvater war Polizist und Wertpapierhändler, Bauarbeiter, Müllmann und Nachportier - in dieser Reihenfolge. Heute ist er nicht nur Callshop-Besitzer, sondern auch Erfinder.

"Die einfachsten Ideen sind die besten", sagt er. Und sein Plan sei sehr einfach, dafür umso besser. Elekhanov hat einen Luftdruckmotor erfunden. "Mit ihm kann man nonstop um die Welt fahren, ohne aufzutanken", strahlt er. Dabei will er selbst gar nicht auf Weltreise gehen, sondern nur das einzige Land der Welt besuchen, wo er nicht hindarf: Sein Heimatland, Tschetschenien, das Land, wo auch seine alten Eltern wohnen. Mit seinem Motor würde er ohne Öl auskommen, erzählt Elekhanov - und er denkt dabei nicht nur an Gazprom.

Kein Land zum Angeben

Elekhanov weiß genau, dass seine Herkunft nichts ist, womit er in Wien angeben könnte. Er weiß das aus der Zeitung: "Tschetschenen, Tschetschenen, immer Tschetschenen", äfft er nach, was er den Stil der "gelben Presse" - "Kronen Zeitung", "Heute", "Österreich" - nennt. Als sich vor ein paar Monaten zwei Männer wegen eines bissigen Hundes prügelten, berichteten die Medien über eine "Massenschlägerei" zwischen Tschetschenen und Punks. "Dabei hat mir ein russischer Freund erzählt, dass er selber dabei war - und kein einziger Tschetschene." 

"Strache wäre ein Nichts"

Elekhanov macht das zornig. "Man muss nicht Tschetschene sein, um schlecht zu sein", sagt er. Es sei gerade im Trend, etwas gegen Muslime zu haben. Und gäbe es diesen Trend und die Muslime nicht, "dann wäre Strache ein Nichts", grinst er: "Er hat nicht gewusst, was er machen soll. Also hat er gesagt: 'Na gut, dann verteilen wir Hass.' - Liebe verteilen ist schwer, aber Hass verteilen ist leicht", philosophiert Elekhanov.

Er selbst hat keinen Hass gegen niemanden. Wenn er kurz Zeit hat, den Callshop zu verlassen, geht er in die Pizzeria nebenan. "Dal Russo" heißt sie. Vom Chef über die Kellner bis hin zum Reinigungspersonal sind hier alle russisch. "Ich habe nichts gegen Russen", sagt Elekhanov. "Nicht gegen die Zivilbevölkerung. Die haben keine Schuld", sagt er, und bestellt noch ein Red Bull. Bis elf Uhr abends muss er noch durchhalten - wie jeden Tag.

Kunden kommen überall her

Gerade kommt eine Frau aus einer der vier Telefonzellen. Auf der Computeranzeige sieht Elekhanov, für wie lange sie wohin angerufen hat. "Bulgarien, schönes Land!", grinst er und nennt ihr den Betrag auf Bulgarisch. "Ich weiß in vielen Sprachen ein paar Worte." Elekhanov weiß auch ohne Verkaufsseminar, was Kundenbindung ist. Schließlich kommt die braungebrannte Frau immer wieder gern hierher - jedes Mal, wenn ihr Schiff ums Eck anlegt. Schiffsbesatzung ist Stammkundschaft hier, gleich ums Eck von der Anlegestelle beim Mexikoplatz.

Erst nach längerer Zeit erzählt Elekhanov, wann ihm die Idee für den Motor gekommen ist. Eines Nachts, als er noch daheim und im Krieg war, träumte er davon, seine Eltern heimlich wegzubringen, "dorthin, wo Frieden herrscht." Alles, was er dafür brauchte, war ein leises Flugzeug. Im Halbschlaf zeichnete sich der Motor in seinem Kopf fast von selbst. Die Kriegsgefechte kamen ihm zuvor, Elekhanov musste flüchten.

Viel Luft in Österreich

Heute schreibt er Briefe. Nicht an Vater und Mutter, sondern an Wissenschaftsminister und Bundespräsident. "Geben Sie mir nur 20.000 Euro Kredit", schreibt er. So viel koste der Prototyp des Motors. Das Endprodukt aber werfe "Milliarden" ab, ist Elekhanov überzeugt. "Österreich hat fast keine Energie, aber viel Luft." Schmutzige Luft, flüstert er grinsend. Sein Motor werde "schlechte Luft reinziehen und saubere Luft rausblasen".

Ansparen kann er derzeit nichts. Die Jugendlichen kriegen weniger Taschengeld, und das spürt auch Elekhanov. Minderjährige sind die Hauptkundschaft. "Erwachsene telefonieren kurz oder drucken den Lebenslauf aus", sagt Elekhanov. Teenager hingegen fänden bei ihm "einen Platz, wo sie ungestört sein können" - beim Chatten und Computerspielen, um 1,50 Euro die Stunde.

"Dann geht er stehlen"

Budgetär schaut es nicht nur bei den Kids mies aus. Ein Mann kommt zum Schalter, nimmt wortlos eine Karte entgegen und geht wieder. Er habe kein Geld für die Öffis, also borge er ihm seine Monatskarte, erklärt Elekhanov. "Ich muss halt helfen", erklärt er knapp, und klappt seinen Taschenkalender auf: Eine Seite, vollgeschrieben mit ein- bis zweistelligen Zahlen. Es sind die Schulden eines Stammkunden. "Insgesamt hat er 500 Euro angeschrieben", stöhnt Elekhanov. "Aber was soll er machen? Wenn er bei mir nicht anschreiben kann, geht er stehlen."

In Österreich sei er "angewachsen" und dankbar für alles, was er hier bekommen hat. Nun möchte er beweisen, dass er es genau so weit bringen kann wie sein österreichisches Vorbild. "Ein einfacher Mann, der es weit gebracht hat und trotzdem normal geblieben ist": Richard Lugner. (Maria Sterkl, derStandard.at, 18.6.2009)