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Grafik: DER STANDARD

Virtuelle Großdemonstrationen im Internet könnten in der EU künftig geradewegs ins Gefängnis führen: Dieses düstere Szenario beunruhigt Nichtregierungsorganisationen, die gerade jetzt im Vorfeld des Irakkriegs neue Protestformen per E-Mail ausprobieren. Grund für die Sorgen ist ein Rahmenbeschluss des EU-Justizministerrats, der "Angriffe auf Informationssysteme" EU-einheitlich unter Strafe stellt.

Ende Februar hatten sich die Minister in Brüssel auf die Grundzüge der neuen Vorschriften geeinigt. Danach wären außer Hacking, der Deponierung von Viren und dem Ausspähen von fremden Dateien künftig auch "Denial-of-Service"-Attacken strafbar.

Zerstörungswut oder Protestform

Gerade solche Angriffe im Netz, bei denen ein Server systematisch mit Hunderttausenden von E-Mails oder Anfragen zugeschüttet und dadurch lahm gelegt wird, machen Unternehmen und Behörden Angst. Doch was Computerkriminelle oder Netznarren mit düsteren Motiven betreiben, gilt Nichtregierungsorganisationen als moderne Protestform: So könnten zum Beispiel Friedensfreunde zu Tausenden Spaniens Ministerpräsident José María Aznar oder den britischen Premier Tony Blair wegen des Irak mit pazifistischer Post bombardieren.

Bagatellfälle von der Strafbarkeit ausnehmen

Nach dem Wortlaut des neuen EU-Rahmenbeschlusses könnte dies künftig strafbar sein - auch für die, die virtuelle Proteste organisieren. Pietro Petrucci, Sprecher von EU-Justizkommissar António Vitorino, räumt dies ein. Er verweist aber darauf, dass es an den EU-Staaten sei, Bagatellfälle von der Strafbarkeit auszunehmen. Am Ende entscheide der Richter.

"Ziviler Ungehorsam"

Der italienische EU-Abgeordnete Marco Cappato will sich darauf nicht verlassen: Er forderte eine ausdrückliche Ausnahme für Fälle "zivilen Ungehorsams". Den Justizministern schien dies aber überflüssig. Und auch Kommissionssprecher Petrucci verweist auf die Rechtslage bei "normalen" Protesten. Die Cyber-Demonstranten würden künftig eben genauso behandelt wie solche, die Züge stoppen oder Straßen blockieren.

Demonstrationsfreiheit bei Internetprotesten

Fest steht: Auch für die Internetproteste gilt die Europäische Konvention für Menschenrechte, die Demonstrationsfreiheit gewährt. Im Einzelfall müssten daher die Interessen der Protestierer gegen die Interessen der Computerbetreiber abgewogen werden.

In einem solchen Fall - den Brennerblockaden - naht ein EU-Urteil: Francis Jacobs, Generalanwalt am EU-Gerichtshof, meint, dass dort die Versammlungsfreiheit den freien Warenverkehr überwog. (Der Standard Printausgabe, 19.3.2003, Jörg Wojahn)