Y.A.S.: "Arabology"
Der Pariser Musiker und Produzent Mirwais hat seinerzeit schon Trend-Coyotin (ich meine das auf eine achtungsvolle Art) Madonna beeindruckt, auf der faulen Haut gelegen hat er seit deren letztem Album aber auch nicht. Seine aktuelle Kooperationspartnerin heißt Yasmine Hamdan und stammt vom Beiruter Duo Soapkills: Deren Verschmelzung von Elektro-Pop und arabischer Musik heben Mirwais und Yasmine nun auf eine neue produktionstechnische Ebene. Keyboard-Feuerwerke à la Daft Punk & Co (plus ein Sample aus Kraftwerks "Mensch-Maschine"; man hat ja Geschichtsbewusstsein) treffen auf arabischen Gesang und ergeben einen absolut geilen Sound. Direkteinsteiger für die Jahrescharts. (Universal Frankreich/Import)

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Y.A.S.

 

 

Coverfoto: Universal

Maxïmo Park: "Quicken the Heart"
Das imposante Debüt "A Certain Trigger" übertrumpfen die Glorreichen Fünf auch mit ihrem dritten Album nicht - aber den vergleichsweise mauen Nachfolger "Our Earthly Pleasures" lässt "Quicken the Heart" hinter sich. Vor allem weil diesmal nicht einzelne herausragende Titel die Gesamtbilanz auffrisieren, hier bringt jeder Song seine individuellen Highlights ein. Was deshalb möglich ist, weil die Kompositionen um einiges komplexer geworden sind und das Auf-und-Ab damit von der Album- auf die Songebene heruntergebrochen wird. Davon abgesehen erreicht der Synthesizer-Einsatz stellenweise Stranglers-gleiche Dimensionen: Ein Gräuel für Jungsrockpuristen, aber die konnten mit Maxïmo Park eh noch nie viel anfangen. - Die CD gibt's auch als Luxus-Edition inklusive DVD mit einem Konzertauftritt im heimatlichen Newcastle. (Warp/Edel)

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Maximo Park

 

Coverfoto: Warp

Miss Kittin and The Hacker: "Two"
Ganz ehrlich: Trotz allgemeinen Lobes haben mich Miss Kittins Solo-Alben nie so ganz überzeugt. Jetzt ist Caroline Hervé, die vermutlich einzige Frau im Musik-Biz, die noch stoischer dreinschauen kann als die Statuen auf den Osterinseln, wieder in eine Kooperationsphase eingetreten: Wie 2002 mit "Golden Boy" Stefan Altenburger oder eben schon 2001 mit "The Hacker" Michel Amato. Und voilà: Schon darf der Ohrwurm die Grabungsarbeiten wieder aufnehmen. "1000 Dreams" ist ein unwiderstehliches Stück Space-Disco mit einer Synthie-Linie, die einem noch nach Tagen gleich nach dem morgendlichen Aufwachen durch die Gehirnwindungen kreist. Mit dem Blondie-affinen "Party In My Head" und dem Elvis(!!!)-Cover "Suspicious Minds" im Windschatten - das hat was! (Nobody's Business/Hoanzl)

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Miss Kittin

Coverfoto: Nobody's Business

Peaches: "I Feel Cream"
Seems you got a little bit more than you asked for ... das hätte als Motto über dem Überraschungsangriff stehen können, den die Exilkanadierin 2000 mit "The Teaches of Peaches" startete. Heute, da die Zeile auf dem neuen Album auftaucht, weiß man längst, was man von Peaches zu erwarten hat - nur nicht, wie weit sie gehen wird. In Sound-Zusammenarbeit mit Simian Mobile Disco, Soulwax und Digitalism mag's Peaches melodischer - kurz: poppiger - als gewohnt, zeigt sich abwechselnd als gegenkulturelle Kylie oder Missy Elliott und als elektronische Brummhummel, die ihresgleichen sucht. Mit "Billionaire", dem Titeltrack oder dem Superstomper "Talk To Me" folgt ein potenzieller Hit auf den anderen - "I Feel Cream" ist ein famoses und enorm eingängiges Album geworden, mögen elitäre Frühfans auch den üblichen "Früher war besser"-Jammergesang anstimmen. (XL/Edel)

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Peaches

Coverfoto: XL

Masha Qrella: "Speak Low. Loewe And Weill In Exile"
Wüsste man nicht, dass die CD im Gefolge eines Kulturprojekts entstanden ist, mit dem die Relevanz von Kurt Weill, Frederick Loewe und Ira Gershwin für den zeitgenössischen Pop geklärt werden sollte, würde man das Alter der Songs kaum bemerken - zumindest bis Supergassenhauer wie der "September Song" an die Reihe kommen. Denn mit der üblichen Pose, die Sängerinnen glauben einnehmen zu müssen, wenn sie in Weill machen (irgendwas zwischen fataler Diseuse und Trümmerweib), hat die Berlinerin Masha Qrella nichts am Hut. Sie übersetzt die Kompositionen in federleichten Gitarrenpop mit zartbitterem Firnis. Sehr schön! (Morr/Hoanzl)

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Masha Qrella

Coverfoto: Morr

"Wild Combination: A Portrait of Arthur Russell" (DVD)
Im Kino läuft die von Regisseur Matt Wolf mit viel - und wunderschöner! - Musik versehene Dokumentation über das Leben des Popgrenzen-Sprengmeisters Arthur Russell derzeit auf den "Identities" (hier mehr zum Inhalt). Wer aus zeitlichen oder örtlichen Gründen nicht im Kino sein kann, kann sich die DVD auch direkt besorgen. Und bekommt in Form des Bonus-Materials auch noch ein paar zusätzliche Kaufanreize: Außer Videos mit Auftritten Russells in voller Länge sind noch einige live performte Coverversionen enthalten, unter anderem von Jens Lekman und Hidden Cameras-Frontmann Joel Gibb. Große Empfehlung! (Rough Trade)

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"Wild Combination"

Coverfoto: Rough Trade

Naïm Amor: "Sanguine"
Dass der Pariser Naïm Amor lange Jahre in Arizona verbracht und unter anderem mit Calexico zusammengearbeitet hat, ist wirklich nur in Spurenelementen zu hören - dito dass Calexicos Joey Burns "Sanguine" produziert hat. Aber vielleicht ist es gerade dieses Spurenelement, dieser leichte Drall ins Angloamerikanische, der Amors Songs über die schaumigen und oft recht austauschbaren Kunststückerln vieler Chanson-Kollegen hinaushebt. Bei Benjamin Biolay wirkt ja ein ähnlicher Effekt. Eine schöne ruhige Platte ist das - und hätte ich seinerzeit nicht das voll brauchbare Altgriechisch gewählt, könnte ich jetzt auch was zu den Texten sagen. Aber vielleicht wird Sparta-Pop ja irgendwann noch mal der nächste heiße Scheiß, dann bin ich gerüstet. (Le Pop Musik/Hoanzl)

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Naim Amor

 

Coverfoto: Le Pop Musik

Tele: "Jedes Tier"
Als jahrzehntelanger Deutschpop-Fan hab ich's nicht leicht dieser Tage: Jetzt ist das einstige Ghetto-Genre zwar omnipräsent und fett in den Hitparaden vertreten - aber leider meistens in Form seiner schalen Nachgeburt als Emo-Schlager. Tele, das von Freiburg nach Berlin übersiedelte Millenniumsbaby, wirkt wie ein Rückwärtssalto in finanzschwächere und bessere Zeiten: Frisch, lässig, intelligent (selbst bei Liebesliedern muss man das Hirn ja nicht zwangsweise verfaulen lassen) und elegant, soll heißen: clevere Arrangements mit dynamischer Melodieführung verbindend. Mit eingebautem Ohrwurm-Radar klaubt sich das Quintett das Beste aus den 70ern und 80ern zusammen und verschmilzt es zu seiner eigenen Sound-Epoche. Möglicherweise ist's die Gegenwart. Ach ja, und das Wiener Chelsea kommt auch mal wieder zu Textehren - nebst Kaiserin Sis(s)i ... (Tapete/Hoanzl)

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Tele

 

Coverfoto: Tapete

Hjaltalín: "Sleepdrunk Seasons"
Bei Island hat man grundsätzlich mit dem Unerwarteten zu rechnen (ähnlich wie bei Finnland, bloß geschmackssicherer). Nach einem Preludium mit Hörnern und Posaunen wird das versammelte Blech durch einen immer flotter werdenden Song gescheucht, worauf mit "The Boy Next Door" etwas folgt, das sich als Barock-Pop à la Sufjans Stevens qualifizieren könnte.  Und erst im zehnten Stück wird das Album seinem Titel gerecht, bis dahin ist in der Kammermusik des sieben- bis neunköpfigen Ensembles ordentlich Unruh drin. Hjaltalín selbst bezeichnen ihre Musik übrigens nach der Verschmelzung ihrer beiden Lieblingsgenres als "Classoul". Eine Coverversion eines Titels von Song Contest-Teilnehmer Paul Oscar gibt's obendrauf. Angst vor Unvereinbarkeit? Pah, kein Thema! (Haldernpop/Hoanzl)

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Hjaltalín

Coverfoto: Haldern Pop

Patrick Wolf: "The Bachelor"
... und damit komme ich zum Ende des für mich bislang erfreulichsten Monats im Musikjahr 2009. Skeptiker der ich bin, hätt ich nicht gedacht, dass mich Patrick Wolf noch mal voll erwischen würde, immerhin treten bei Lieblingsmusikern ja irgendwann Gewöhnungseffekte ein. Aber spätestens bei Track 5, "Damaris", war's wieder soweit: Schwüle Streichermeere treffen auf Drums, die wie ein offenes Herz schlagen, und Patricks immer mächtiger werdende Stimme - ehrfürchtiges Verharren vor dem Lautsprecher, einmal mehr. Und das ist bloß ein Song - mehr zum Album demnächst an dieser Stelle. (Chrysalis/Import)

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Patrick Wolf

Coverfoto: Bloodychambermusic/Chrysalis