Foto: Standard/Michael Wildi

"Menschen sind eine Anstrengung für mich, auch Männer", lässt Max Frisch seinen Walter Faber konstatieren. Das ist schon eine Weile her, ein Rätsel ist die Frau dem Mann immer schon gewesen und sie wird es ihm wohl auch bleiben. Allerdings scheinen sich heute Mann und Frau, aufgerieben im Arbeits-, Konkurrenz- und Familienkampf, fremder denn je zu sein, ja, sich zuweilen sogar als Gegner gegenüberzustehen. Jedenfalls in der Literatur, und es ist vielleicht kein Zufall, dass gerade heuer einige Bücher erschienen sind, die nicht nur das Ende der "Paarheit" ausrufen, sondern auch den Geschlechterkampf thematisieren. So kann es etwa, wie in Michael Stavarics fulminantem neuem Roman Böse Spiele, in dem es um eine Vierecksbeziehung geht, schon vorkommen, dass das Spielfeld der Liebe zum apokalyptischen Schlachtfeld zwischen Mann und Frau wird. In Susanne Heinrichs Polterabend-Reigen So, jetzt sind wir endlich mal glücklich schlagen sich drei Paare, unter ihnen das heiratende, die Nacht vor der Hochzeit und auch sonst so einiges um die Ohren, um zum Schluss zu gelangen: "... solange es Männer und Frauen gibt, kann es keine Liebe geben. Es lebe die Verwischung der Geschlechter! Bald werden sie ausgestorben sein, bald werden sie sich kaum mehr unterscheiden".

Mit den Frauen heißt nun ein Roman des Schweizer Autors Dante Andrea Franzetti, Jahrgang 1959, der als 26-Jähriger mit der Erzählung Der Großvater debütierte und als Rom-Korrespondent des Zürcher Tagesanzeiger auch ein gefragter politischer Kommentator in Sachen Berlusconi und EU-Beitritt der Schweiz war. Zehn Romane und Erzählbände hat Franzetti, der heute als freier Autor in Zürich lebt, geschrieben, dazu unzählige Essays und Rezensionen (auch für diese Zeitung). In der Schweiz gilt er vielen als der beste, der eleganteste Erzähler - nicht nur seiner Generation.

Nerbal heißt die Hauptfigur in Mit den Frauen. Franzetti-Leser kennen ihn schon aus seinem Buch Passion. Journal für Liliane, das von einem aus der Männersicht erzählten Scheitern einer Ehe handelt. Dieser Nerbal, ein Mann im mittleren, aber nicht mehr in seinem besten Alter, ist in Mit den Frauen unterwegs zu seiner Frau und den zwei Söhnen. Man ist getrennt, verbringt aber den Skiurlaub gemeinsam, und Nerbal schleppt neben seiner Beklemmung eine Einkaufstasche vom Hotel, in dem er wohnt, Richtung Haus, in dem "sie" wohnen. Vom Dorf her ertönen die Glocken. Die Totenglocken? Nerbal dreht sich um und sieht in Duellier-distanz einen jungen Mann, ungefähr 25 Jahre alt, schwarz gekleidet, wendig und arrogant. Sein Name ist Gregorj, und: "Gregorj ist, wie Nerbal war. Nerbal ist, wie Gregorj sein wird".

Diese Aufspaltung der Hauptfigur in zwei in der Ich-Form redende Personen, in den desillusionierten und in seinen Augen gescheiterten Nerbal und Gregorj, dem alle Möglichkeiten offenzustehen scheinen, erweist sich im Verlauf des Buches als ungemein kluger Kunstgriff. Er ermöglicht es Franzetti, zumal sich später noch ein dritter Erzähler, der das Buch schreibt, einmengt, ein und dieselbe Geschichte multiperspektivisch zu erzählen. Nerbal versucht Gregorj zu erklären, warum er dieser aufgeschwemmte, traurige Mann wurde, der Gregorj keineswegs werden will. Zu tun hat das mit dem Alkohol, der aus Nerbal "einen andern gemacht" hat und, wie bei allen abgestürzten Männern, mit der Liebe. Allerdings auch mit der Kindheit, denn ursprünglich kommt Nerbal aus der Region des Baikalsees. In der Schweiz wächst er zwar mit Mutter und Schwester, aber fast vaterlos und immer kränklich auf. Von der Lehrerin, nach Mutter und Tochter die dritte Frau in seinem Leben, wird der Junge ausgegrenzt, von den Mitschülern verprügelt.

Schuldig, von Anfang an

Allerdings ist er ein guter Schüler und seine Macht wird das Wort sein, das Schreiben - und die Liebe der Frauen. Die Liebe von Zufallsbekanntschaften etwa, oder von Martina und Sabrina, die ihm allerdings gleichgültig sind, denn von Kindesbeinen an wollte er nur die eine: Christina. Nach zwei Jahrzehnten und vielen Umwegen wird sie schließlich seine Frau, glücklich werden die beiden nicht.

Nerbals Geschichte, die in Zürich, Rom, Johannesburg und Madrid spielt, ist die Geschichte eines Zurückgewiesenen, eines unberührbar Einsamen, der sich, ohne genau zu wissen, warum, schuldig fühlt. Schreibend wird er die Welt zu seinem Fall machen, um schließlich, an der Liebe, seinem Schmerz und sich selbst verzweifelnd, zum Fallenden zu werden. Am Ende des in fünf Kapitel gegliederten Buches, das man auch als Rechenschaftsbericht, eine Art Beichte, lesen kann, wird eine negative Utopie skizziert. Der Erzähler lässt Nerbal und Gregorj zurück und fährt zum Baikalsee, wo Männer und Frauen getrennt voneinander in verschiedenen Dörfern leben. Sie treffen sich ab und zu, Scheidungen kennen sie nicht, "hier ist alles von Anfang an geschieden".

"Wenn die Irrtümer verbraucht sind / Sitzt als letzter Gesellschafter / Uns das Nichts gegenüber" schrieb Brecht, dessen Verhältnis zu den Frauen auch nicht unbedingt friktionsfrei war, im Gedicht "Der Nachgeborene" . Um Irrtümer, Alkohol und Hoffnungslosigkeit geht es auch in Franzettis Roman, der mehr noch als vom Ende der "Paarheit" von der untrennbaren Verknüpfung zweier Menschen, die weder mit- noch ohneeinander leben können, handelt. In dem Leid, der Verzweiflung und der schonungslosen Offenheit, mit der hier ein Mann, der es sich und anderen nicht leicht gemacht hat, Rechenschaft ablegt, ist das Buch von einer seltenen Radikalität.

Eine Zigarettenlänge nur ist es, die Nerbal innehält, um mit Gregorj über Zweifel und Träume, Hoffnung und Enttäuschung zu reden. Fünf Minuten vielleicht, in denen das ganze Leben eines Menschen, der alles verloren hat - seine Kinder, die Ehe, die Gewissheit - am Leser vorüberzieht. Um dieses Dehnen und die Kontraktion der Zeit, um die Erinnerung dessen, was einmal die Möglichkeit war, ist es in der Literatur, wenn sie gut ist, immer schon gegangen. Wie das Leben hat Literatur mit Anmut zu tun, mit Grazie und ja, vielleicht mit Gnade. Trotz des schweren Themas ist dieses Buch schön geworden - und federleicht. Am Schluss des Romans erweist sich die Baikalszene der getrennten Geschlechter als Traum (ein Albtraum?), der Erzähler wacht auf und entschließt sich aufzubrechen. Richtung Welt, ins Leben. Wieder einmal, immer noch. (Stefan Gmünder, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 06./07.06.2009)