Mit seinem ungleich populäreren Antipoden Heiner Müller verband ihn der Unwille, den Unrechtsgehalt des DDR-Regimes als Argument für die behauptete Überlegenheit der Bundesrepublik Deutschland zu benützen. Dabei hätte der Dramatiker, Lyriker und Filmemacher Thomas Brasch (1945-2001) alle biografischen Voraussetzungen besessen, um im Arbeiter- und Bauernstaat zu reüssieren.

Als Sohn jüdischer kommunistischer Emigranten gehörte der junge Brasch dem gehobenen Funktionärsmilieu an. Proben zivilen Ungehorsams bescherten ihm bereits in den 1960ern Knasterfahrungen. Als ihm 1976 die "einmalige Ausreise zwecks Übersiedlung aus der DDR" genehmigt wurde, setzte sich Brasch zusammen mit der Schauspielerin Katharina Thalbach nach Westberlin ab. Brasch blieb als "Dissident" fortan unbenützbar: Wie der von Martina Hanf posthum zusammengestellte Interviewband Ich merke mich nur im Chaos eindrucksvoll belegt, kultivierte Brasch von Anfang an eine Widersetzlichkeit, die sich auch in Gesprächszusammenhängen mit dem Nachrichtenmagazin Spiegel oder mit der Zeit mit keinen Westfedern schmücken ließ.

Brasch, der mit einem Packen Manuskripte im Gepäck die Sphären wechselte, blieb zeitlebens Individualanarchist. Ausgestattet war er mit dem Überlegenheitsbewusstsein des zivil notorisch Ungehorsamen; versehen mit einem ganzen Bausatz von Bertolt-Brecht-Redefiguren, die er, dialektisch geschult bis in die (freilich kurzen) Haarspitzen, geradezu auftrumpfend in die ihm aufgezwungenen Debatten warf.

Brasch, der Dramatiker hochkomplizierter Stücke wie Rotter, Lovely Rita oder Frauen Krieg Lustspiel, erlebte die Misere der Unbehaustheit am eigenen Leibe. In seinem kunstvollen Erzählungsband Vor den Vätern sterben die Söhne strafte er den östlichen Aufbauoptimismus Lügen. Zugleich war er auch nicht ohne weiteres für die Sache einer westdeutschen (oder etwa österreichischen) Hochliteratur zu gewinnen, der er die Tendenz zur Verinnerlichung geradezu hohnlachend vorwarf.

Brasch saß zwischen allen Stühlen. Dass dieser charmante Anwalt seiner eigenen, unterschiedlich geglückten Schreibprojekte gelitten haben mag an der "Nutzlosigkeit" einer Künstlerexistenz, die den Konjunkturen des Meinungsmarktes gnadenlos unterworfen wird, das steht zwischen den Interview-Zeilen. Es verwundert daher nicht, dass Brasch jene DDR, die ihm wiederholt übel mitgespielt hatte, im Zuge der Wiedervereinigung als den fundamental besseren Staat kennzeichnete: wissend, dass es Widersprüche braucht, um neue, bessere Einsichten zu gewinnen.

War Brasch womöglich ein Verspäteter? Ein Autor, sagte Brasch, brauche das "Blutaustauschverhältnis" mit der ihm umgebenden Gesellschaft. Es gehört zu den eher tragischen Umständen der späten deutsch-deutschen Koexistenz, dass sich Brasch mit den im Westen vorgefundenen Verhältnissen nicht abfinden wollte - wiewohl er Filme machte, Preise einheimste (einen aus der Hand von Franz Josef Strauß!), Fürsprecher wie Claus Peymann hatte und in unergiebigeren Zeiten Abnehmer prächtiger Übersetzungen nach Tschechow und Shakespeare fand.

Selten ist verständiger über die Registerwechsel in Shakespeares "dark comedys" gehandelt worden als in einigen dieser Interviews: Brasch postuliert unter tätiger Mithilfe verschiedener Stichwortgeber den Traum von einer Gesellschaft, die ihre Widersprüche nicht vergräbt, sondern auf dem Marktplatz der Bühnenkünste gnadenlos ausverhandelt. Seine Referenzwerke sind vergessene Wortsteinbrüche wie Brechts berüchtigtes Fatzer-Fragment. In der allmählich ausdünnenden Literatur Braschs fand die plebejische Linke noch einmal zu sich: poetisch punktuell vollendet, meist gefährdet - mit Blick auf eine "sozialistische" Alternative, deren Untergang bereits 1933 festgeschrieben stand. Die deutsche Misere eben, von einem Dichter beklagt. (Ronald Pohl, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 06./07.06.2009)