Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Reuters

Der Libanonexperte Nicholas Noe sieht nach den Wahlen ein große Chance auf eine Entwaffnung der Hisbollah. Dazu müssen aber die EU und die USA den Dialog mit den pro-syrischen Schiiten suchen, sagte Noe zu András Szigetvari.

****

STANDARD: Das politische System des Libanon ist so kompliziert, dass selbst Experten den Durchblick verlieren. Einfach gefragt: Worum geht es bei den Parlamentswahlen?

Noe: Da gibt es mehrere Sichtweisen: Polemisch ist die Darstellung, wonach bei den Wahlen in Wahrheit der Iran und Syrien auf der einen Seite gegen die USA, einige moderate arabische Staaten und Israel auf der anderen Seite antreten. Das ist Unsinn, auch wenn diese Mächte tatsächlich verschiedene Kandidaten unterstützen. Tatsächlich tritt eine Allianz unter Führung der Hisbollah gegen die vom Westen unterstützten Kräfte an, wobei sich auf beiden Seiten Kräfte finden, die für Frieden im Nahen Osten plädieren. Die Allianz unter der Hisbollah eint nur eines: Die Ablehnung der US-Nahostpolitik der vergangene Jahre.

STANDARD: Was würde es bedeuten, wenn die Hisbollah die Wahlen gewinnt?

Noe: Hisbollah wird im neuen Parlament jedenfalls weniger Abgeordnete haben als bisher, denn sie mussten mehrer ihrer Kandidaten zurückziehen um bei der Direktwahl der Kandidaten ihren Verbündeten eine Chance zu geben. Die Hisbollah wird im neuen Parlament also eine geringere Rolle spielen. Aber gemeinsam mit ihren schiitischen und christlichen Partnern könnte sie gestärkt werden. Fest steht, dass jene Parteien, die eine Entwaffnung der Hisbollah wünschen eine absolute Mehrheit stellen werden. Für die USA und Europa bietet sich damit eine große Chance.

STANDARD: Die Entwaffnung der Hisbollah war ein zentrales Thema der letzten Jahre. Aber sehen Sie eine Chance, dass das tatsächlich geschieht?

Noe: Absolut. Jedem klar ist, dass eine Zwangsentwaffnung nicht in Frage kommt. Nach der Wahl wird alles vom regionalen Kontext abhängen: Wenn die US-Administration und die EU ihre Hilfe für den Libanon zurückfahren und den Aufbau der libanesischen Armee nicht weiter verstärken, wird es schwer. Im Gegenteil muss die Hisbollah in eine Diskussion darüber eingebunden werden, wie eine starker Staat geschaffen werden kann, der die Menschen auch zu verteidigen vermag. Dann könnte die Hisbollah einer Entwaffnung beziehungsweise einer Eingliederung in die nationale Armee zustimmen. Sollte die Hisbollah mit ihren Verbündeten die Wahlen gewinnen, und daher aus einer Position der Stärke heraus agieren können, dürfte das ihre Entwaffnung sogar erleichtern.

STANDARD: Im Libanon gibt es kaum Rohstoffe, das Land ist klein und wirtschaftlich unbedeutend. Warum bemühen sich die USA, Syrien, Saudi-Arabien und die EU dennoch um Einfluss?

Noe: Weil der Libanon der einzig schwache Staat ist, der eine Grenze mit Israel hat, aber keinen Friedensvertrag mit Jerusalem. Das ist die Arena, in der heute der arabisch-israelische Konflikt ausgetragen werden kann. Das zweite ist: Die Hisbollah verfügt über 20.000 bis 30.000 Raketen, also ein ganz beachtliches Arsenal; das bereitet Israel und seine Verbündenten große Sorge.

STANDARD: Im Mai 2008 stand der Libanon am Rande des Bürgerkrieges. Kann es wieder Gewalt geben?

Noe: Nein, nicht im Vorfeld der Wahlen. Die politischen umkämpftesten Bezirke sind die christlichen, und dort verfügt niemand über ausreichende Waffen. Viel wichtiger ist aber, dass Mehrheitsblock wie Gruppen rund um Hisbollah an ihren Sieg glauben, also an friedlichen Wahlen interessiert sind. Nach den Wahlen besteht aber die Gefahr, das Konflikte wieder aufbrechen.