Eine Ökologin folgte dem ökologischen Fußabdruck der Tomate. 

Fotos: Cremer

24 Kilo Tomaten verspeist im Schnitt jeder Österreicher pro Jahr. Damit gehört die Tomate zu den beliebtesten Gemüsesorten hierzulande. Grund genug für die Ökologin Michaela Theurl, für ihr Diplom dem ökologischen Fußabdruck des Paradeisers auf die Spur zu gehen. Der Transport von Erdbeeren und Joghurts quer durch Europa stand bereits im Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen. Theurl hat den Rahmen weiter gesteckt und untersuchte Anbau, Verpackung und Transport pro Kilo Tomaten vom Samen bis ins Supermarktregal.

"Der durchschnittliche Österreicher ist sich nicht bewusst, dass eine in Wien-Simmering gezogene Tomate 2,5 bis drei Mal so viel Kohlendioxid freisetzt wie eine aus Almería, einfach weil sie aus einem beheizten Glashaus stammt", fasst sie eine der wichtigsten Erkenntnisse zusammen. Die wenigsten Emissionen verursachen laut ihren Berechnungen unbeheizt gezogene Tomaten aus Folientunneln im Burgenland. Der Kurzstrecken-Transport mit Kleintransportern in die Supermärkte hat zudem größere Auswirkungen auf die Umwelt als der Lkw-Ferntransport nach Österreich.

Die 27-jährige Wissenschafterin hat sechs gängige Produktionssysteme von Freiland über Folientunnel bis Glashaus in Österreich, Italien und Spanien verglichen. Zusätzlich entwarf Theurl zwei Zukunftsszenarien zum Abgleich. Ihr Ranking in Kilo Kohlendioxid pro Kilo Tomaten sieht so aus: 0,1 für konventionelle oder biologisch gezogene aus Folientunneln im Burgenland, 0,4 für jene aus Almería, 0,7 für Dosentomaten aus Süditalien, 1,1 für Früchte aus modernen Venlo-Glashäusern im Raum Wien und 1,4 für solche aus gängigen Glashäusern. Die beiden hypothetischen Szenarien: 0,6 Kilo pro Kilo für Tomaten aus hackschnitzelgeheizten Plastikhäusern im Burgenland und 1,5 für mit Propangas geheizte aus Almería.

Der Heizbedarf beim Anbau macht den Löwenanteil - bis zu 80 Prozent - am freigesetzten Kohlendioxid pro Kilogramm Tomate aus. Dann folgt die Konservenherstellung und Verarbeitung der Freilandtomaten und zuletzt der Ferntransport - aus Spanien immerhin 2700 Kilometer. Die saisonale Biotomate aus dem unbeheizten Folientunnel im Burgenland schnitt kaum besser ab als das konventionelle Produkt. Die Dosentomate aus Italien wiederum hat eine geringere CO2-Belastung als die Tomaten aus Glashäusern im Raum Wien. Hier spricht die Verpackung der "pomodori pelati" gegen das gut angepasste Aufwachsen unter freiem Himmel in Apulien.

3000 Kilometer Reise

Bei der Berechnung des globalen ökologischen Fußabdrucks nimmt der Heizbedarf ebenfalls den größten Flächenanteil ein. Der Fußabdruck macht in globalen Hektar jene Fläche anschaulich, die für die Aufnahme und Kompensierung des freigesetzten Kohlendioxids nötig ist, plus die Fläche für das Wachstum der Früchte selbst.

Darwin's Nightmare von Hubert Sauper oder We feed the world von Erwin Wagenhofer: Das rege heimische Filmschaffen zum Thema Lebensmittelproduktion hat auch Theurl zu ihrer praxisnahen Analyse inspiriert. Die Idee kam ihr durch Wagenhofers Aussage, wonach eine Tomate 3000 Kilometer reisen muss, bevor sie am Wiener Naschmarkt an die Kundschaft gebracht wird. Laut Theurls Berechnungen könnten sich die Kohlendioxid-Emissionen um rund 50 Prozent reduzieren lassen - auf 0,2 Kilo Kohlendioxid pro Kilo Tomaten - wenn der Transport spanischer Tomaten auf die Schiene verlagert würde. Derzeit fehlt die Infrastruktur für solche Frischwarentransporte noch. Bei den Dosentomaten brächte der Bahntransport ab Fabrik ein Einsparungspotenzial von 16 Prozent auf 0,6 Kilo Kohlendioxid pro Kilo Tomaten.

Die Erfassung der Daten für ihre Lebenszyklus-Analyse dauerte laut Theurl erheblich länger als die Auswertung selbst. Wesentliche Informationen für eine gute Kaufentscheidung gebe es kaum, und die Hersteller seien wenig kooperativ. Die Materialien der Glashäuser und Folientunnel schlug sie in Gärtnerei-Handbüchern nach und prüfte ihre Recherchen vor Ort mit den vereinzelten Experten, die gewillt waren, ihr Auskunft zu erteilen. Ebenso die Angaben zu Substrat- und Düngemitteleinsatz. Betreut wurde sie von Helmut Haberl, Fußabdruck-Fachmann an der Fakultät für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Uni Klagenfurt.

Der Konsument kommt letztlich nicht darum herum, außerhalb der wärmeren Monate Ende Juli bis Ende Oktober auf Tomaten weitgehend zu verzichten, denn regionale Produkte bieten nur dann einen Vorteil, wenn es sich um Saisongemüse handelt. Außerhalb der Saison ist importierte Ware sogar günstiger als heimische aus Intensivanbau. Außerhalb von Theurls Berechnungen liegt letztlich, was mit der Tomate nach dem Kauf passiert: ob sie tatsächlich in der Schüssel landet oder im Mistkübel verfault. (Astrid Kuffner, DER STANDARD/Printausgabe 20.5.2009)