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Die Fabrik der Zukunft setzt nicht auf Gigantomanie (wie auf diesem Foto zu sehen ist). Sie arbeitet dezentral und im Verbund mit lokalen Rohstofflieferanten wie der Grünen Bioraffinerie, wo aus Gras Feinchemie wird.

Foto: AP/Paul Sakuma

Es ist eine raffinierte Sache: Man presst den Saft aus dem Gras, gewinnt daraus Milchsäure und Aminosäuren. Die verkauft man dann an Chemie-, Pharma- und Nahrungsmittelindustrie. Aus dem Gras wird Kapital. Die Pressreste landen in der Biogasanlage, aus dem Gras wird auch noch Energie. So könnte die Grünlandnutzung der Zukunft aussehen.

Im oberösterreichischen Utzenaich ist man der Zukunft schon recht nahe. In der dortigen Biogasanlage wird heute, Mittwoch, die erste Demonstrationsanlage für eine Grüne Bioraffinerie eröffnet. Die Kooperation der Oö. Bioraffinerie Forschungs- und Enwicklungs-GmbH mit Joanneum Research und dem Anlagenentwickler BioRefSys ist eine "Fabrik der Zukunft" und aus dem gleichnamigen Forschungsprogramm des Verkehrsministeriums gefördert (siehe "Wissen" am Ende des Artikels). Wird in einer gängigen Raffinerie ein Rohstoff durch Reinigung und Veredelung zu einem höherwertigen Produkt verarbeitet, geht es in der Bioraffinerie indes um Optimierung der Veredelungsprozesse und die Umwandlung "in so viele Produkte wie möglich". In Utzenaich konzentriere man sich mehr auf die "stoffliche als die energetische Nutzung", sagt Horst Steinmüller, Geschäftsführer des Energieinstituts an der Johannes-Kepler-Universität Linz und Projektleiter. Bevor Gras ganz einfach in die Biogasanlage wandert, was wenig ökonomisch ist, wandelt man es in der Bioraffinerie in Wertstoffe um. Die "Koppelnutzung" mache das Gesamtsystem erst wirtschaftlich.

Eine Tonne Silage, das ist etwas mehr als ein Siloballen, wird in der Grünen Bioraffinerie pro Stunde "abgepresst". Dann trennt man in komplexen Verfahren Milchsäure und Aminosäuren ab. Diese Feinchemikalien sind gefragt. Der Markt für Milchsäure wird in Europa auf 100.000 Tonnen pro Jahr geschätzt. Österreich importiert 770 Tonnen jährlich. Gebraucht wird die Milchsäure in der Kunststoffindustrie. Verarbeitet zu Polylactiden, verformbaren Kunststoffen, ist sie Rohstoff für Verpackungen oder Medizintechnik. Aminosäuren wiederum verwendet man in der Kosmetikproduktion, aber auch als Proteinlieferant für die Nahrungsmittelindustrie und Life-style-Medizin.

Die nächsten zweieinhalb Jahre wird in Utzenaich an der Marktreife der Anlage gearbeitet. Die Erfahrungen und Ergebnisse aus 17 Forschungsjahren an der Technischen Universität Graz und der Joanneum Research werden nun in der Demonstrationsanlage umgesetzt. Dabei sollen die Umwandlungsprozesse - Pressvorgang, Reinigung, Trennung - optimiert werden. In einem ersten Schritt nimmt man das Pressverfahren genau unter die Lupe, ein wesentliches Kriterium dabei ist der Energieaufwand. Bei der Auftrennung in Milch- und Aminosäuren werden moderne Trennverfahren wie Membranverfahren, Elektrodialyse, Ionentauscher, Chromatografie angewandt. Es gilt nun herauszufinden, welche Technologiekonfigurationen die beste Produktqualität liefern. Steinmüller: "Entscheidend werden aber auch betriebswirtschaftliche Parameter sein."

Feinchemie statt Brache 

Noch ist die Saftaufbereitung in neun Containern untergebracht. So kann sie nach Abschluss der Versuchsphase ganz einfach zur Großanlage gebracht werden. Deren Standort ist freilich noch ungewiss. Naheliegend ist eine der österreichischen Randlagen, wo sinnvolle Neunutzung von Dauergrünland notwendig wird, weil die Landwirtschaft immer weniger Grünland braucht. Laut Forschungsanstalt Raumberg-Gumpenstein werden, so Steinmüller, in den nächsten 15 bis 20 Jahren 500.000 Hektar stillgelegt. Diese Grünlandflächen als Kulturflächen zu erhalten, könnte "im Verbund mit den Landwirten" gelingen, meint Herbert Böchzelt, der Leiter des Forschungsschwerpunktes Chemisch-Technische Pflanzennutzung bei Joanneum Research in Graz, und zwar "durch klein strukturierte Vorgewinnung".

Grünlandbauern könnten Silage, "das ist ihr tägliches Geschäft", übernehmen, auch das Pressen "wäre keine Hexerei". Eventuell ließe sich auch das Eindicken des Saftes dezentral organisieren. Die Pressrückstände würden dann in Biogasanlagen - regionalen oder lokalen, "mehrere Bauern gemeinsam könnten sich zu Kooperationen zusammenschließen" - verarbeitet. Die Aufbereitung zu Feinchemikalien, die der Fachexpertise bedarf, müsste als einziger Schritt in einer zentralen Anlage bewerkstelligt werden.

Verwaldung oder Brache von Grünland zu verhindern ist nicht das einzig Grüne an der Bioraffinerie. Oberösterreichs Umwelt-Landesrat Rudi Anschober (Grüne) nennt einen weiteren Ökoeffekt: "Ziel ist es, zu belegen, dass die Verwertung von Gras in Richtung Bio-Kunststoff machbar ist und wir bei der Kunststofferzeugung aus dem fossilen Energiebereich aussteigen können." Das entspreche der oberösterreichischen Strategie, in vielen Bereichen nach Möglichkeiten der Erdölsubstituierung zu suchen. Und dem Ziel der Energiewende, in Oberösterreich bis 2030 bei Wärme und Strom zu 100 Prozent auf erneuerbare Energieträ-ger umzustellen, die CO2-Emissionen um zwei Drittel zu reduzieren." (Jutta Berger, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27. Mai 2009)