Das Jahr 2009 ist nicht nur das Jahr der Wirtschafts- und Finanzkrise, sondern auch das der internationalen Klimadiplomatie. Die Verhandlungen für ein neues globales Klimaabkommen laufen auf Hochtouren, aber es ist trotz der konstruktiveren Rolle der USA fraglich, ob die Kopenhagener Klimakonferenz im Dezember tatsächlich den großen Durchbruch bringen kann. Je deutlicher sich dies abzeichnet, desto stärker wird eine Haltung an Zulauf gewinnen, die das entscheidende Veränderungspotenzial dem klimabewussten Individuum zuordnet. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die prominente Rolle, die dem "kritischen Verbraucher" in der Klimadebatte zugeschrieben wird, ist nicht nur völlig unangemessen, sondern politisch auch kontraproduktiv.

Den ernsthaften Versuch eines nachhaltigen Lebensstils unternimmt lediglich eine kleine Minderheit, die sich vor allem durch eine Kombination von höheren Bildungsabschlüssen und mindestens durchschnittlichen Einkommen auszeichnet. Den finanziellen wie zeitlichen Zusatzaufwand, den diese Gruppe alltäglich in Kauf nimmt, lässt sie sich auf anderen Ebenen rückvergüten.

Eine emotionale Rendite kann schon allein durch das Gefühl realisiert werden, einen positiven Beitrag für die Zukunft der eigenen Kinder geleistet zu haben. Gewinnbringend ist auch der beständige Vergleich mit anderen, weniger umweltbewussten Existenzen - sei es in der eigenen Nachbarschaft oder in Nordamerika und China. Dies geht in der Regel mit einer Individualisierung und Moralisierung der ökologischen Frage einher, die soziale und ökonomische Dimensionen des Klimaschutzes gerne ausblendet. Aus Sicht der Öko-Avantgarde ist nur das eigene Verhaltensrepertoire das Maß der Dinge: "Es geht doch, wenn man nur will."

Misst man den Ansatz einer ökologisch ausgerichteten Alltagspolitik an seinen eigenen Ansprüchen, so fällt die Bilanz der letzten 30 Jahre relativ bescheiden aus. Versuche einer umweltorientierten Lebensführung haben zwar mit dazu beigetragen, das Konzept der Nachhaltigkeit in westlichen Industriegesellschaften populär zu machen. Der Pro-Kopf-Ausstoß an Treibhausgasen aber blieb nahezu unverändert. Nicht einmal Energiesparlampen und verbrauchsarme Autos haben sich bisher am Markt durchsetzen können, allem Umweltbewusstsein in der Bevölkerung zum Trotz. Eine Individualisierung umweltpolitischer Verantwortung weist dementsprechend in die falsche Richtung. Weitaus zielführender ist es, durch politische Rahmensetzungen Anreize für Forscher und Unternehmen zu schaffen, eine Vielzahl von energieeffizienten und klimafreundlichen Lösungen zu entwickeln - und diesen im großen Maßstab zum Durchbruch zu verhelfen.

Konsum statt Politik?

Eine fundamentale Veränderung der Stoff- und Materialströme wird sich nicht durch das Einkaufsverhalten einer zahlenmäßig immer noch überschaubaren Öko-Avantgarde bewirken lassen. Der Weg führt letztlich nur über das in ökologischer Hinsicht "bewusstlose" Handeln breiter Bevölkerungsschichten.

Zwei Beispiele: Seit die EU beschlossen hat, den Anteil der erneuerbaren Energie am Gesamtverbrauch bis 2020 auf durchschnittlich 20 Prozent zu steigern, investieren auch die großen Energieversorger massiv in diesen Sektor. Nicht etwa deshalb, weil sie plötzlich "grün" geworden wären, sondern weil dieses Geschäftsfeld aufgrund politischer Grundsatzentscheidungen ökonomisch lukrativ zu werden verspricht. Die von der EU zudem beschlossene Verschärfung der Effizienzkriterien für Leuchtkörper wird nicht nur binnen weniger Jahre das Ende für herkömmliche Glühbirnen einleiten, ohne dass auch nur ein einziger Haushalt mühsam von den Vorzügen alternativer Beleuchtungssysteme überzeugt werden müsste. Aufgrund ihrer Gültigkeit für einen Binnenmarkt von 500 Millionen Konsumenten wird diese Entscheidung auch weltweit technische Innovationen in Gang setzen, die die derzeit handelsüblichen Energiesparlampen mit ihrer nach wie vor beschämenden Lichtqualität schon bald vergessen machen könnten.

Dass es vermehrt auch die Politik selbst ist, die dem umweltbewussten Konsumenten eine wichtige Rolle zuschreibt, darf nicht den Blick dafür verstellen, dass ambitionierte klimapolitische Ziele nur erreichbar sind, wenn Gesellschaften über wirkmächtige und am Gemeinwohl orientierte Steuerungsinstanzen verfügen. Sicherlich: Regierungen und Parteien haben bislang nur einen bescheidenen klimapolitischen Leistungsnachweis erbracht. Dies gibt berechtigten Anlass zur Skepsis, kann jedoch nicht bedeuten, das Potenzial staatlicher Regulierung schlicht zu verneinen und statt dessen auf die scheinbare Macht des mündigen Verbrauchers zu bauen. Kritischer Konsum ist als klimapolitische Strategie in etwa so erfolgversprechend wie freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.6.2009)