Der Historiker und Medienwissenschafter Rikola-Gunnar Lüttgenau ist seit 1999 Direktor der Gedenkstätte Buchenwald und stellvertretender Direktor der dazugehörigen Stiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora.

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Barack Obama wird als einer der ersten Politiker das kleine Lager, einen der grausamsten Orte im KZ-Buchenwald besuchen, sagt der Rikola-Gunnar Lüttgenau, der Leiter der Gedenkstätte. Warum der Besuch auch eine Botschaft an Israel ist und warum sich Schüler in Konzentrationslagern daneben benehmen, erklärte er András Szigetvari.

STANDARD: Welche Bedeutung hat der Besuch Barack Obamas in Buchenwald?

Lüttgenau: Obama geht an einen Ort, den die US-Amerikaner 1945 befreit haben. An einen Ort, an dem die Welt erstmals gesehen, was ein Konzentrationslager ist. Die Bilder von Buchenwald gingen damals um die Welt, und diese Bilder hatten ja damals auch zur weiteren Folge, dass es aufgrund dieses Holocaust-Schocks zur allgemeinen Erklärung der Menschenrechte kam. Und da schließt sich ein Kreis: Obama kehrt an diesen Ort, den sein Großonkel mitbefreit hat, zurück um zu zeigen, wofür er auch einsteht.

STANDARD: Zuletzt hat der US-Präsident Israel wegen der Siedlungspolitik öffentlich kritisiert. Ist der Buchenwaldbesuch im Gegensatz dazu eine freundliche Geste an Jerusalem?

Lüttgenau: Natürlich ordnet sich der Besuch in einen größeren politischen Rahmen ein.
Die Grundlage des israelischen Staates liegt in dem durch die Deutschen verursachten Holocaust, das ist natürlich ein Zeichen, wenn Obama sich dem widmet. Obamas Besuch in Buchenwald findet ja an einem Brückentag zwischen der Rede in Kairo und seinem Besuch in der Normandie statt. Damit zeigt er, dass der Holocaust auch ein wichtiger Meilenstein in der US-amerikanischen Geschichte ist. Viele Soldaten sind so wie Obamas Großonkel in der Normandie gelandet und haben sich als ersters gefragt: „Was mache ich eigentlich in diesem Krieg?" US-amerikanische Veteranen haben uns erzählt, dass sie erst in Buchenwald verstanden haben, warum sie eigentlich kämpften.

STANDARD: Was sollte sich Obama in Buchenwald ansehen?

Lüttgenau: Obama wird als einer der ersten hochrangigen Politiker in das kleine Lager, in die so genannte Hölle von Buchenwald gemeinsam mit Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel gehen, der hier im Kleinen Lager befreit wurde. In diesem kleinen Lager sind zu Kriegsende noch 5000 Menschen gestorben. Vor allem ungarische Juden, die man wegen des Vorrückens der Roten Armee nicht mehr nach Auschwitz bringen konnte, wurden hierhergebracht, sie sind zu tausenden dahingestorben. In den Zeiten der DDR war das kleine Lager aber nicht Teil der Gedenkstätte, weil zu DDR-Zeiten Buchenwald vor allem für den Kampf der politischen Häftlinge gegen den Faschismus stand. Der Bezug zur Vernichtung der europäischen Juden stand nicht im Vordergrund. Dieser einseitige Blick, dass Buchenwald nur ein Lager für politische Häftlinge war, wurde inzwischen korrigiert. Und darauf wird bei diesem Besuch ein besonderer Fokus gesetzt.

STANDARD: Buchenwald gilt als das einzige KZ, dass sich selbst befreit hat. Gleichzeitig spricht Obama immer wieder davon, dass sein Großonkel das Lager befreit hat. Wie ist das in Einklang zu bringen?

Lüttgenau: Zuletzt wurden viele Fragen gestellt, wir haben deswegen den Ablauf des 11. Aprils minutiös rekonstruiert. Und daran sieht man, dass beides geschehen ist: Zuerst haben die US-Amerikaner die Herrschaft der SS hier in Buchenwald beendet. Nachdem die SS geflohen ist, haben die Häftlinge des Lager-Widerstandes die Wachtürme besetzt und das Lager gesichert und versucht die Versorgung der Menschen aufrechtzuerhalten. Das wäre ohne die Widerstandsgruppe nie möglich gewesen, so konnten über 900 Kinder innerhalb dieses KZ überleben. Der Organisationsgrad des Widerstandes war in Buchenwald so groß wie in keinem anderen Lager.

STANDARD: Das KZ-Buchenwald hat in einer Aussendung davon gesprochen, dass der Ort kein Museum ist, sondern man im KZ über blutgetränkten Boden geht. Was war die Botschaft dahinter?

Lüttgenau: Die Gedenkstätte zieht ihre Kraft, ihre negative Kraft, daraus, dass hier tatsächlich ein blutgetränkter Boden ist. Und um diese negative Fundamentierung nicht zu verlieren, muss man sich immer wieder vergewissern, dass das letztlich ein Friedhof ist. Anhand dieses Friedhofes hat alles seinen Platz: sowohl das Schweigen und Verstummen als auch das Reden darüber, was man machen kann, damit so etwas nie wieder passiert. Insofern sind diese Orte immer beides: Ein Friedhof und ein Museum.

STANDARD: In Österreich haben zuletzt Schüler, die in Auschwitz für einen Eklat gesorgt haben und heimgeschickt wurden, Schlagzeilen gemacht. Gibt es das auch in Buchenwald, wie gehen Sie damit um?

Lüttgenau: Gerade in ehemaligen Konzentrationslagern müssen entsprechende Grenzen gezogen werden. Wir haben leider immer wieder Fälle wo nicht nur Schüler Unsinn machen, sondern tatsächlich Rechtsradikale sich produzieren, weil sie sich an der vermuteten Allmacht der SS aufgeilen. Das ist einfach zu beantworten, bei diesen Rechtsradikalen hilft nur die Polizei. Viel schwieriger ist, dass solche Orte gerade bei Schulklassen häufig zu Verunsicherungen führen, weil die Schüler nicht wissen, wie sie mit dem Ort umgehen sollen. Gerade deswegen braucht es die entsprechende Vorbereitung durch die Lehrer, daher versuchen wir als Gedenkstätte die Lehrer so gut wie möglich auf den Besuch vorzubereiten. Denn wenn bei einem KZ-Besuch solche Schieflagen entstehen, liegt das fast immer an der mangelnden Vorbereitung durch die Lehrer. (András Szigetvari, 4.6.2009)