Baubotaniker arbeiten an aus Bäumen wachsenden Stegen und Pavillons.

Foto: Entwicklungsgesellschaft für Baubotanik, Ludwig Storz Schwertfeger GbR

Den Baustoff züchten sie bereits in Gewächshäusern.

Bäume haben gelernt zu tragen. Je stärker sie beansprucht werden, desto dicker wird ihr Holz. Damit sind sie intelligenter und anpassungsfähiger als Beton und vor allem schöner anzusehen. Kurzum der perfekte lebende Baustoff, finden drei ambitionierte Architekten von der Universität Stuttgart. Ferdinand Ludwig, Oliver Storz und Hannes Schwertfeger haben sich voll und ganz der Baubotanik verschrieben.

In den vergangenen drei Jahren haben sie bereits zwei Pavillons, einen Steg und ein Vogelbeobachtungshaus aus lebenden Weiden errichtet. Zwei neue Fußgängerbrücken von sechs Meter Spannweite sollen im Saarland entstehen. Die eine wird einen Lehrpfad schmücken, die andere einen Bach in einem Naturpark überspannen. In den Schubladen liegen schon die Pläne für eine zwanzig Meter lange Brücke über den deutsch-polnischen Grenzfluss Neiße. Sogar eine Anfrage für ein Hotelzimmer haben die drei Visionäre auf dem Tisch. "Es ist durchaus möglich, dauerhaft bewohnbare Gebäude aus Bäumen zu verwirklichen. Langfristig ist das unser erklärtes Ziel", betont Ferdinand Ludwig, einer der drei Architekten.

Das Tragwerk für die ausgefallenen Konstruktionen bilden bislang dünne, hoch gewachsene Weiden, die dicht an dicht gepflanzt werden. Indem einige in die Schräge, andere in die Senkrechte sprießen, entsteht ein Netzwerk. "Wenn die Bäume einander berühren und aneinandergebunden werden, wachsen sie an dieser Stelle zusammen und bilden einen Knoten. Das ist eine Art "Baumschweißen", beschreibt Ludwig die Bauweise. Derzeit entwickeln die Baubotaniker die Verwachsungstechniken weiter. Sie möchten eine Art lebende Fachwerksstruktur schaffen. Knicken, Abschneiden und Sägen sind dabei tabu. Auch auf Nägel und Schrauben verzichten sie in der Regel.

Allerdings werden auch künstliche Materialien verwendet: Der 22 Meter lange Steg besteht aus Metallgitterrosten, die von insgesamt 64 Weidenrutenbündeln getragen werden. Bei den Pavillons spannen die Bäume ein orangefarbenes Textilsegel auf. Für Hannes Schwertfeger, den Architekturtheoretiker im Bunde, gehört dieser Symbiose die Zukunft: "Die Trennung zwischen Natur und Artefakt wird aufgelöst. Man wird künftig in Koproduktion mit der Natur bauen."

Kritiker fürchten jedoch, dass die Pflanzen unter den künstlichen Lasten leiden. Ludwig hält dem entgegen: "Dem Baum ist es egal, ob er Blätter trägt oder ein Auto - solange er genügend Blätter hat, um seine Lebensfunktion aufrechtzuerhalten." Die Pflanze werde von Kindheit an darauf trainiert, Beanspruchungen standzuhalten. Allmählich verdicken sich die Zellwände im Holz, und der Stamm wird stabiler. Dies ist ein natürlicher Anpassungsvorgang, den sich die Baubotaniker zunutze machen.

Allerdings können die Weiden die Last nicht immer von Anfang an schultern. Bei einem größeren Pavillon in Freiburg wurde das Textildach über den Winter herausgenommen, da die Pflanzen die Schneelast noch nicht tragen können. Die Naturbrücke über die Neiße könne man erst nach etwa sieben Jahren begehen, nimmt Ferdinand Ludwig an. "Da muss man etwas Geduld mitbringen", fügt er hinzu.

Zwar wachsen die Weiden sehr schnell und lassen sich bequem durch Stecklinge vermehren. Aber die Baumart zeigt den Architekten auch ihre Grenzen auf. Sie benötigt viel Licht und Wasser, weshalb die bisherigen Bauten allesamt an lichten Stellen in Parks aufgestellt wurden. "An schattigen Plätzen und in Städten gedeihen Weiden nicht gut", räumt Ludwig ein.

Deshalb züchten die Baubotaniker jetzt gemeinsam mit der Gruppe für Pflanzenbiomechanik des Botanischen Gartens der Universität Freiburg neue Bäume, die es auch in der Stadt etwa im Schatten eines Hochhauses aushalten. Im Gewächshaus gedeihen bereits drei Meter hohe und zwei Zentimeter dicke Platanen.

Wie im schattigen Unterholz schießen die Bäume in die Höhe, wenn bestimmte Blau- und Rotlichtanteile gefiltert werden. "Außerdem schützen wir die Bäume vor Wind. Dadurch werden die Stämme dünner", beschreibt Thomas Speck, Chef des Freiburger Biomechanikteams. Diese Verhältnisse stellen die Botaniker im Gewächshaus nach, um Platanen für ihre Bauten zu züchten. Künftig will Speck auch Pappeln, Ahorn und Eschen zu Baustoff formen. Danach sollen Lianen folgen, die ideale Seile für Hängebrücken abgäben, wie traditionelle Bauwerke der Indios bezeugen.

Der Freiburger Botaniker ist überzeugt, dass die lebenden Konstruktionen in der Zukunft einen festen Platz in der Architektur einnehmen werden. "Heute bauen wir immer noch für die Ewigkeit. Das ist im Grunde ein Irrsinn", meint er. Ein Gebäude werde oft nicht länger als eine oder eine halbe Generation gebraucht. Bäume sterben nach dieser Zeit einfach ab. Ein Abriss wäre überflüssig. Pilze und Bakterien würden Bagger ersetzen. (Susanne Donner / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5.6.2009)