Dreimal habe ich in den letzten Tagen bei symbolträchtigen Anlässen beachtenswerte Reden des großen Europäers, des tschechischen Exaußenministers Karl Schwarzenberg gehört. Zuletzt zum Wochenende in Pressburg bei einer slowakisch-ungarischen Geburtstagsfeier zu Ehren des Leiters des grenzübergreifend wirkenden zweisprachigen Kalligram-Verlages, László Szigeti. Herausragende Intellektuelle aus beiden Ländern zollten dem mutigen Verleger Tribut, der lebenslang für Toleranz und gegen nationalistische Engstirnigkeit wirkte.

Schwarzenbergs Worte waren eine Erinnerung an das Gemeinsame und nicht an das Trennende in der einstigen ungarischen Krönungsstadt, deren multikultureller Charakter in der Zwischenkriegszeit auch Deutsche (1945 vertrieben) und Juden (1941-44 umgebracht), zusammen mit Ungarn und Slowaken geprägt hatten.

Nur einen Tag vorher, bei dem in der Wiener Hofburg vom Außenministerium organisierten Europakongress, warnte Schwarzenberg, der als Vorsitzender der Internationalen Helsinki Föderation eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung der Bürgerrechtsbewegungen in der Tschechoslowakei und auch in Polen und Ungarn gespielt hatte, vor dem "entsetzlichen Albtraum" des Nationalsozialismus und vor den Folgen des totalitären Denkens in den ehemaligen Ostblockstaaten. Sein Aufruf für "viel größere Entschlossenheit" im Kampf gegen den Totalitarismus galt freilich auch der politischen Elite Österreichs vor dem Hintergrund der Serie neonazistischer und rechtsradikaler Entgleisungen der letzten Zeit.

Der längste und politisch bedeutsamste Diskurs fand aber bei dem bereits traditionellen Wachauer Europaforum in Stift Göttweig statt. Hier hat Schwarzenberg vor einem hochkarätigen internationalen Publikum in einer historischen Betrachtung vor der Entfremdung der Bürger von der Europäischen Union gewarnt. Wenn es nicht gelingt, Europa den Bürgern näher zu bringen, wenn sich diese nicht mit Europa identifizieren, dann droht in den nächsten zehn Jahren diese großartige Vision zu scheitern.

All das, was man dieser Tage in Budapest und Wien hört und liest, scheint leider die düstere Vorahnung Schwarzenbergs zu bestätigen. In Großbritannien und Frankreich, Italien und Deutschland, aber auch in Österreich und Ungarn geht es nicht nur darum, dass die einstige durch Mitterrand, Tony Blair und Gerhard Schröder symbolisierte sozialdemokratische Hegemonie durch die Verschiebung des Zentrums des politischen Handelns seit Jahren nach rechts ersetzt wurde.

Die Profiteure des Volkszorns wegen der wachsenden Arbeitslosigkeit und des schrumpfenden Wohlstands in Folge der globalen Wirtschaftskrise sind nämlich überall, statt der bürgerlichen Mitte, die rechtsextremen und national-populistischen Parteien und Bewegungen. Niemand weiß heute, ob das Schlimmste schon überstanden ist. Noch weniger gibt es Anhaltspunkte über die sozial-politischen Folgen der internationalen Verwerfungen. Deshalb ist die Gefahr der Radikalisierung in den Reformstaaten, die in den letzten zwanzig Jahren auf Pump lebten, also in den baltischen Staaten und in Ungarn, besonders groß. (Paul Lendvai/DER STANDARD, Printausgabe, 4.6.2009)