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4. Juni 1989 nahe dem Tiananmen, dem "Platz des Himmlischen Friedens"  im Zentrum Pekings: Studenten bringen eine beim Armeeeinsatz schwer verletzte junge Frau weg.

Foto: APA/AFP/Ceneta

Da die KP jede rationale Aufarbeitung blockiert, ist die Zahl der Opfer – vermutlich mehrere tausend – bis heute unbekannt.

Der Karikaturist Ding Cong starb dieser Tage in Peking. Der 93-Jährige, der mit 19 Jahren zu zeichnen begann, war einer der anerkanntesten Gesellschaftskritiker Chinas. Von 1957, dem Jahr der Massensäuberung unter Intellektuellen und Künstlern, bis 1979, dem Ende der Kulturrevolution Mao Tsetungs, durfte er nichts veröffentlichen. Chinas Partei will nicht an die Zeiten ihres Terrors erinnert werden. Das Verschweigen einer unrühmlichen Vergangenheit hat für sie Tradition, umso mehr, wenn die Untaten wie beim Massaker auf dem Tiananmen am 4. Juni 1989 nur 20 Jahre zurückliegen.

Kurz vor dem 20. Jahrestag, über den junge Chinesen nichts in der Schule lernen und zu Millionen auch nichts wissen, hat Peking seine Kontrollen verschärft. Dutzende Dissidenten stehen unter Hausarrest. Unterzeichner des Freiheitsmanifestes "Charta 08" werden überwacht, Blogs abgeschaltet. Aufpasser aus den Straßenkomitees sitzen an jeder Ecke. Eine kleine Gruppe von Anwälten, die sich Menschenrechtsfällen annehmen, bangen, ob sie ihre jährlichen Lizenzen erneuert bekommen.

So sorgt Peking für Ruhe. Seine Führer wussten vom ersten Schuss an, dass ihnen die Schuld am Tiananmen-Massaker anhängen wird. Drei Wochen nach dem 4. Juni versuchte sich der damalige Premier Li Peng herauszureden. Er sagte seinem ersten westlichen Besucher, dass die Armee nur geschossen habe, weil sie über keine Wasserwerfer, Tränengas oder Gummigeschosse verfügte.

"Geplante Konterrevolution"

Aus den Memoiren des gestürzten Parteichefs Zhao Ziyang ist hingegen bekannt, dass Li Peng damals die seit eineinhalb Monaten andauernden Demonstrationen für Demokratie bewusst als "geplante Konterrevolution" hinstellte, um die Armee einsetzen zu können. Nach 20 Jahren wiegelt jetzt auch die offizielle Parteigeschichte ab: Sie spricht nur noch von schweren Zwischenfällen, die wenige "undurchsichtige Personen" provoziert hätten.

Über die heimliche Neuschreibung darf nicht debattiert werden. Peking wäscht sich den Pelz, ohne sich nassmachen zu wollen. Der Kantoner Historiker Yuan Weishi wirft der Partei vor, die Jugend mit "Wolfsmilch" aufzuziehen, ihr Schulbücher voller Geschichtslügen aufzutischen. Er stach in ein Wespennest. Die Jugendzeitung, die seinen Beitrag abdruckte, wurde bestraft.

Yuan fürchtet zu Recht, dass das Tabu, aus der Vergangenheit zu lernen, eine heute unwissende junge Generation Populisten und linken Neo-Nationalisten in die Arme treibt. Ihre Wortführer, die die Kommunistische Partei für einen Haufen unfähiger Bürokraten halten, schlagen aus Chinas globaler Stärke Kapital.

Der Nationalismus ist daher die eigentliche Gefahr für Chinas Zukunft. Das Vermächtnis des 4. Juni aber bleibt der unerhörte Ruf nach kritischer Aufklärung. Chinas Einparteien-Herrschaft hat es mit Repression und Wirtschaftsreformen geschafft, die einstigen sozialen Energien, die 1989 Millionen hinter den Forderungen nach mehr Demokratie vereinten, zu atomisieren. Oder sie auf Konsum und Nationalstolz umzulenken.

Rufe nach politischen Reformen verpuffen heute so wirkungslos wie Karikaturen. Zeichner Ding Cong hat es gewusst. Seine Kunst tat er zu Lebzeiten mit einem derben Bonmot ab: Seine Karikaturen seien "so effektiv wie ein Furz". (Johnny Erling aus Peking/DER STANDARD, Printausgabe, 3.6.2009)