Foto: Oper unterwegs/ Sira-Zoe Schmid
Foto: Oper unterwegs/ Sira-Zoe Schmid

Es beginnt in einer Telefonzelle am Bahnhof Heiligenstadt. Drei Frauen mit Turmfrisuren in rot, blond und schwarz telefonieren wegen eines Wasserschadens und trippeln danach aufgeregt über den Bahnsteig. Eine verträumte, junge Frau sitzt auf einer ausrangierten Zuggarnitur. Ein außergewöhnliches Theatererlebnis bietet die neugegründete "Oper unterwegs" mit ihrer ersten Produktion "Undine geht". Theater gespielt wird während einer Zugfahrt rund um Wien in einer historischen S-Bahn-Garnitur nach einem Text von Ingeborg Bachmann aus dem Jahr 1961. Die Musik von Olga Neuwirth kommt vom Band. Text, Musik, Theater und die Geräusche des Zugs bilden ein Ganzes.

Die Zuschauerplätze entsprechen den Sitzen in den Abteilen. In den ersten Minuten wird sphärische Musik der österreichischen Komponistin Olga Neuwirth eingespielt, die mit dem regelmäßigen Klopfen der Zugräder auf die Schienen seine hypnotische Wirkung verstärkt. "Wie weit ist es zu dir? Weit. Und weit ist es zu mir", ertönt Bachmanns der Welt entrückte Erzählung aus den Lautsprechern. Sie nimmt die ZuhörerInnen mit auf eine Reise unter Wasser zu Undine, eine Nixengestalt aus dem Mittelalter, während vor den Fenstern die Landschaft Wiens vorbei zieht. Undine hat keine Seele, sehnt sich aber danach und schließt sich deshalb einem Mann an, der ihr dazu verhelfen kann. Der Arzt Paracelsus hat noch "wissenschaftlich" über das Wasserwesen berichtet und Männern Ratschläge gegeben, deren Frauen Undinen sein könnten.

Pinguine, Motorräder, goldene Badehosen

"Oper unterwegs" bespielt öffentliche Räume. So findet die Handlung während der 70-minütigen Zugfahrt nicht nur innerhalb des Wagons statt. Die Grenzen zwischen realen Bildern und inszenierten Szenen lösen sich teilweise auf. Ein Mann scheint in einer Glasbox am Bahnsteig zu ertrinken, auf einem Feld in Liesing hebt ein anderer ein Grab aus, Pinguine stehen in einer Wiese, auf einem Bahnhof ist ein Darsteller mit dem Motorrad unterwegs. Als der Zug kurz stehen bleibt, klettert ein Schauspieler nur mit einer knappen, goldenen Badehose und Schwimmflossen bekleidet in das Abteil. Mitunter bleiben verwunderte PassantInnen auf den Bahnsteigen stehen.

Die S-Bahn-Garnitur 4030 aus den Sechzigerjahren befahrt von Heiligenstadt aus 29 Brücken und fünf Viadukte. Auf der Strecke liegen die historische Trasse der Vorortelinie von Otto Wagner und die Haltestelle Speising. Weiter geht es Richtung Kledering bis zur Donauuferbahn. Das Publikum fährt durch Hernals, Ottakring, Liesing und weitere Bezirke. Auf der sonst nur für Güterverkehr freigegebenen Strecke geht die Fahrt entlang der Donau über den Handelskai zurück nach Heiligenstadt.

Der Schmerzton

Text und Strecke ergänzen sich. "Eure Kinder, von euch zur Zukunft verdammt, die haben euch nicht den Tod gelehrt, sondern nur beigebracht kleinweise. Aber ich habe euch mit einem Blick gelehrt, wenn alles vollkommen, hell und rasend war - ich habe euch gesagt: Es ist der Tod darin", schrieb Bachmann in "Undine geht". Während dieser Zeilen fährt der Zug am Zentralfriedhof vorbei. Das Abteil versinkt minutenlang in der Finsternis eines Tunnels, dazu spricht die weibliche Erzählerin: "Wenn es dunkel ist in den Häusern, erheben sie sich heimlich, öffnen die Tür, lauschen den Gang hinunter, in den Garten, die Alleen hinunter, und nun hören sie es ganz deutlich: Den Schmerzton, den Ruf von weither, die geisterhafte Musik." Olga Neuwirth liefert dazu fragile Klänge, nahe an der Auflösung der musikalischen Struktur in eine Frequenzstörung.

Die Handlung wird durch die Inszenierung nicht chronologisch erzählt. Die Versatzstücke von Bachmanns Erzählung, Neuwirths Komposition und die DarstellerInnen außer- und innerhalb des Zugs erzählen die Geschichte der Undine in Schichten. Das schadet der Spannung des Stücks nicht, das Verschwommene fügt sich gut zum Text über das mythische Wasserwesen. Der Schlussapplaus findet dann wieder außerhalb des Zugs statt, die DarstellerInnen verbeugen sich am Bahnsteig. (Julia Schilly, derStandardard.at, 02.06.2009)