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Ein Schlag für die Menschen in Motor City: Dave McClaren baute von 1973 bis 2008 Autos bei GM. Nun ist der Konzern, bei dem bereits sein Großvater gearbeitet hatte, pleite.

Fotos: AP, Herrmann; Montage: Beigelbeck

Mit der Insolvenz von General Motors geht nicht nur ein weiteres Stück Autogeschichte in Detroit zu Ende. Für viele der Menschen dort bedeutet dies auch das Ende des amerikanischen Mythos der Middle Class, die die Entwicklungdes Landes vorantrieb.

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Detroit - Das ist nun der Tag. In New York karren Anwaltsgehilfen kistenweise Akten zum Insolvenzrichter, in Washington hält Barack Obama eine Autorede, in Detroit laufen pausenlos die Fernseher in der gläsernen General-Motors-Zentrale. Der Trubel, die Hektik, das fiebrige Spekulieren darüber, ist das nun Untergang oder Neubeginn - Dave McClaren will sich von alledem nicht anstecken lassen. Er hat es kommen sehen, "es ging ja seit mehr als dreißig Jahren nur noch bergab".

Der 56-Jährige hat aus der Talfahrt der Autoindustrie in Detroit zwei Schlüsse gezogen. Erstens nimmt man die Dinge, wie sie sind. Und zweitens kann eine gesunde Prise Skepsis nie schaden.

Die McClarens und Autos, das ist eine lange Geschichte. Daves Großvater Albert war der Erste, der an einem Fließband stand, nicht bei General Motors, sondern bei Ford, aber es lief auf dasselbe hinaus. Auf einen Job, in dem man als Teenager begann und in den man in Rente ging. Mit dem umgänglichen Albert hatte noch der legendäre Ford in den Mittagspausen geplaudert, Henry Ford, der Inbegriff des sorgenden, zugleich autoritären Firmenpatriarchen. Die Fahrzeuge wurden damals noch per Hand übers Fließband gezogen, "stell dir vor, mit einem Seil". Zwei Generationen später stand Dave vor der einfachen Wahl: Stahl oder Auto? Etwas anderes gab es nicht. Beides galt als sicher.

1973 war das. Er hatte den Vietnamkrieg hinter sich und begann, in einem Werk in Warren Achsen und Felgen für Geländewagen herzustellen. Zukunftssorgen kannte er nicht, aber romantisch verklären will McClaren das mit dem Arbeitsplatz auf Lebenszeit nun auch wieder nicht. "Ich dachte, hier komm ich nie wieder raus." Im Sommer war es brütend heiß in der Halle, über 50 Grad Celsius, und es gab weder Ventilatoren noch Klimaanlagen.

Bank GM

Dennoch, GM war eine Bank. Man hielt es mit dem selbstsicheren Motto, das der Konzernchef Harlow Curtice in den Fünfzigern ausgab: "General Motors wird immer vorn liegen". Die Beschäftigten, mehr als eine halbe Million, produzierten jedes zweite Auto, das in den USA verkauft wurde. Heute klingt der Satz von Curtice wie Hohn, denn der Koloss steht auf tönernen Füßen. Nach der Insolvenz sollen nur noch knapp vierzigtausend Arbeiter in Lohn und Brot stehen. Steven Rattner und Ron Bloom, Barack Obamas Auto-Chefmanager im Weißen Haus, sprechen vom "guten GM", das schlank und gesund aus dem Strudel des Gerichtsverfahrens auftauchen wird. McClaren ist vorsichtiger. "Wer sagt denn, dass wir nicht von einem Bankrott in den nächsten rutschen?"

Die Wegscheide, an der der Koloss die falsche Richtung nahm, kann er mit einer genauen Jahreszahl benennen. 1974. Der erste Ölschock. In Mittelost drehten die Erdölexporteure an der Preisschraube, in Amerika achteten die Autokäufer erstmals darauf, wie viel Benzin ein Wagen verbraucht. Die Japaner waren besser, Toyota und Honda setzten zu ihrem Siegeszug an. Und was McClaren nie begreifen wird, ist, dass GM sich nicht wirklich wehrte. "Wieso konnten wir gute Ingenieure für Geländewagen anheuern, aber nicht für Pkws?" Die Konzentration auf die schweren Spritschlucker wurde bestraft, als die Spritpreise im vorigen Sommer auf Rekordhöhen schnellten. Es folgte die Wirtschaftskrise, und die brach GM das Genick.

Fast klingt es wie der Nachruf auf ein verstorbenes Familienmitglied, wie McClaren das alles erzählt. Er sitzt im Schaukelstuhl auf seiner Veranda, im Gras stehen Gartenzwerge. Die Hypothek auf sein Häuschen ist abbezahlt. Die Zugeständnisse, mit der die Autobauer-Gewerkschaft UAW einer geordneten Insolvenz den Weg ebnete, bedeuten, dass der Konzern nichts mehr zahlt, wenn Dave eine Zahnbehandlung braucht oder eine neue Brille. Damit kann er leben. Was ihn schlecht schlafen lässt, ist das Gefühl, dass kein Vertrag mehr etwas gilt. Was wird mit der Betriebsrente, den 1800 Dollar, die er pro Monat bezieht? "Heute erzählen sie mir, die Rente sei sicher. Aber wer weiß, was sie mir in drei Jahren erzählen."

Am Montagfrüh kommt sie dann doch, die Hiobsbotschaft. Dave III, einer seiner drei Söhne, arbeitet in einem Stanzwerk in Mansfield, Ohio. Nun steht fest: Auch diese Fabrik wird geschlossen. Dave III hat zwei Kinder, ein drittes ist unterwegs. "Für den kleinen Mann scheint der Kapitalismus nicht zu funktionieren", sagt sein Vater verbittert und schimpft auf die Banker der Wall Street. "Die haben Billionen verspielt, und keiner steht vor einem Richter."

Ein Malocher, der bei GM am Fließband steht, wird bald nur noch 14 Dollar pro Stunde verdienen. Die Gewerkschaften stimmten zu, was sollten sie machen? Dave McClaren bekam noch 32 Dollar. 14 Dollar, rechnet er vor, sind zu wenig, um das Leben der Mittelklasse zu führen, mit eigenem Haus und regelmäßigen Urlaubsreisen. Detroit und die Mittelklasse - auch so ein amerikanischer Mythos. Kurz gefasst geht er so: Mit den hohen Löhnen der aufstrebenden Autobranche entstand die Middle Class, die dann wieder amerikanische Autos fuhr, um sich das riesige Land zu erschließen.

Die Zukunft? "Früher hieß es: Arbeite hart, bleibe deinem Unternehmen treu, und du hast ausgesorgt fürs Leben", schreibt Kolumnist Stephen Henderson in der Detroit Free Press. "Heute muss es heißen: Bilde dich, arbeite hart, hör nie auf zu lernen. Es wird anders sein, es kann besser sein." (Frank Herman, DER STANDARD, Printausgabe, 2.6.2009)