Ein Liebesdreieck geht fließend in neue Formen über: Christophe Honorés "Les Chansons d'amour".

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Marieta bricht zur Freiheit durch: "20 centímetros" von Ramón Salazar.

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Timothy (rechts) ver- und bezaubert seinen Mitschüler Jonathon in Tom Gustafsons "Were the World Mine".

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Ganz war das Filmmusical nie weg vom Fenster, auch nicht vor dem jetzigen Boom-Jahrzehnt. Nur die Strategien, mit denen man die Musikeinlagen in die Handlung schmuggelte, waren im Lauf der Zeit immer ausgefeilter geworden und hatten fast schon etwas Verschämtes an sich. Aber das ist vorbei, und inzwischen ist auch die "klassische" Form auf die Leinwand zurückgekehrt, bei der das Ensemble mitten im Alltagsgeschehen in Gesang und Tanz ausbricht, ohne dass die Umstehenden davon irgendwie verblüfft wären. Jüngstes Beispiel: "Les Chansons d'amour" von Christophe Honoré mit den wunderbar leichten Kompositionen von Neo-Star Alex Beaupain, vorgetragen von den ProtagonistInnen des Films.

"Les Chansons d'amour" schildert in ähnlicher Schwerelosigkeit wie die dazugehörige Musik die An- und Abdockmanöver innerhalb einer Gruppe junger PariserInnen rund um den Lebemann Ismaël (Louis Garrel), der aus einer Dreiecksbeziehung mit Julie (Ludivine Sagnier) und Alice (Clotilde Hesme) unversehens in eine tiefe Krise gestürzt wird. Eine mögliche Rettungsmission naht in Form von Alices schwulem Bruder Erwann (Grégoire Leprince-Ringuet) ... aber diese Option, die Ismaël bislang eher nicht ins Auge gefasst hätte, bedarf erst einiger Überzeugungsarbeit.

Rossy ist zurück!

Vergleichsweise streng getrennt kommen Handlung und Musik in Ramón Salazars Tragikomödie "20 centímetros" daher - aber auf eine geniale Weise. Im Mittelpunkt steht die transsexuelle Prostituierte Marieta, zwischen deren Beinen noch die entscheidenden Zentimeter zuviel baumeln: Einträglich fürs Geschäft zwar, doch Marieta (Mónica Cervera) spart ihre Einkünfte wie ein Eichhörnchen, um das zumindest von ihr ungeliebte Riesending endlich per Operation loszuwerden. Doch ist das nicht ihr einziges Handikap: Marieta leidet überdies wie weiland River Phoenix in "My Own Private Idaho" an Narkolepsie in ihrer schlimmsten Form. Just zu den unpassendsten Gelegenheiten - in der Arbeitsagentur oder bei der Begegnung mit der wandelnden Jeans-Reklame Rául (Pablo Puyol) - erliegt sie plötzlichen Schlafattacken ...

... und gleitet im Traum in grelle Musical-Szenen, die ihr Leben als Revue in Szene setzen. Klassiker wie Dalidas "Paroles, paroles" kommen dabei ebenso zum Einsatz wie eine "Thriller"-Persiflage inklusive Zombie-Formationstanz, eine hinreißend kitischige Version von Madonnas "True Blue" und ein Grande Finale in Form von "I want to break free". Bei aller Schrillität spart der spanische Film aber auch die ernsten Momente nicht aus - für einen davon sorgt die allseits verehrte Rossy de Palma mit einem Gastauftritt als Doyenne der Straße.

Liebeszauber außer Kontrolle

Aus allen Möglichkeiten Musik in Szene zu setzen schöpft schließlich US-Regisseur Tom Gustafson in "Were the World Mine": Sie ist ebenso Bestandteil einer "Sommernachtstraum"-Aufführung an einer Privatschule wie auch der Tagträume des schwulen Teenagers Timothy, in denen er seine Hetero-Classmates als Sport-Ballett Aufstellung nehmen lässt. Ergänzt wird der Original-Score noch um Beiträge der Queer-Pop-Ikonen Patrick Wolf und Mika.

Timothy (Tanner Cohen) ist aufgrund seiner Sexualität zwar in eine Außenseiterposition geschlittert, allzu schlimm lässt ihm Gustafson aber nicht mitspielen: Gute Freunde sind ebenso vorhanden wie eine Mutter mit dem Herz am rechten Fleck - Timothys größtes Problem ist es daher, sich in den Rugby-Spieler Jonathon (Nathaniel David Becker) verguckt zu haben. Ungeahnte Möglichkeiten tun sich auf, als die Literaturprofessorin Ms. Tebbit (Wendy Robie) eine Shakespeare-Aufführung ansetzt. Originalgetreu, soll heißen: ausschließlich mit männlichen Darstellern. Weil der Konflikt zwischen Kultur- und Sportunterricht nicht ausbleibt, scheint das Ganze zunächst auf eine schwule Variante des "High School Musicals" hinauszulaufen ...

... doch weil Timothy in Shakespeares Text auf einen funktionsfähigen Liebeszauber stößt, kommt's dann doch noch ganz anders: Der Trank wird zur Massenverführungswaffe und der "Sommernachtstraum" schwappt mit all seinen Irrungen und Wirrungen von der Bühne auf die gesamte Stadt über. Der Moral "Du sollst deine Mitmenschen nicht verbiegen wollen" wird irgendwann Genüge zu leisten sein - aber bis dahin stelzt Ms. Tebbit, die mit Vornamen möglicherweise Titania heißt, durch das trashige Hochglanz-Chaos, das sie angezettelt hat. Vergnüglich!
(Josefson)