Eines muss man den Proponenten der Empörung in der abgelaufenen Debatte um einen Ausstieg aus Cern lassen: Einmal mehr ist es gelungen, von den Strukturproblemen der österreichischen Forschungsförderung abzulenken. Zur Verdeutlichung: Die EU hat in einem mehrjährigen Prozess mit intensiver Beteiligung zahlreicher Wissenschaftler/innen eine Roadmap für die Forschungsinfrastruktur (ESFRI) beschlossen, in der - mit Update Ende 2008 - die wichtigsten 44 Forschungsprojekte für das kommende Jahrzehnt aufgelistet werden. Diese Roadmap beinhaltet sowohl sozio-ökonomische Projekte, Umwelt- und Energieforschung sowie Material- und Lebenswissenschaften als auch physikalische Großprojekte. Dabei geht es um zentrale Zukunftsfragen wie die (Über-)Alterung der Gesellschaft, die gefährdete Biodiversität, den Klimawandel oder die vielversprechende Nanotechnologie. Das Überleben dieser Projekte steht nun auf dem Spiel, da Cern den Großteil der österreichischen Forschungsgelder verschlingt.

Das Hauptargument der Cern-Befürworter - Kontinuität in der Forschungsförderung um jeden Preis - ist bizarr und hält der logischen Raison nicht stand: Man müsse, heißt es, Cern weiterhin mit 20 Millionen pro Jahr finanzieren, weil man doch bisher schon so viel investiert habe. Die Logik aber gebietet, dass man neue Investitionen nur nach deren künftigen Erträgen beurteilen kann. Was jetzt zählt, ist also nicht, wie viel in der Vergangenheit bereits in Cern investiert wurde, sondern was man von den neuen Investitionen erwarten kann.

Ich erachte es als extrem problematisch, wenn allein für das Kernforschungszentrum Cern 50 bis 80 Prozent aller Mittel für internationale Forschungsprojekte beansprucht werden. Und ich hätte in der Erregung der vergangenen Tage auch gerne den Einspruch all jener vernommen, die sich in medienwirksamen Sonntagsreden sonst regelmäßig um Umwelt- und Energieprobleme, die Alterung der Gesellschaft und zukunftsweisende Technologien sorgen. Auch der Wissenschaftsrat ist ob des überproportional hohen Aufwandes für Cern besorgt. Deshalb hoffe ich immer noch auf eine Kompromisslösung, die Österreich nicht bei 95 Prozent aller internationalen Forschungskooperationen vor die Tür setzt. Das wäre die wahre Blamage. (Rudolf Winter-Ebmer, DER STANDARD, Printausgabe, 22.5.2009)