Wir sind ein seltenes und lustiges Völkchen im großen Erdenzoo. Mit tausend Jahren Feudalherrschaft in Rücken, Knochen und Hirnen haben wir Markt, Kapitalismus und Sozialismus nur zugelassen, soweit sie gottgewollte oder altehrwürdige Ordnungen nicht allzu sehr durcheinander bringen - mit beachtlichen (Er)folgen.

Wirtschaftliche und technologische Rückständigkeit haben wir als zeitweiligen Wettbewerbsvorteil lukriert ("latecomer" statt "first mover advantage"). Wir besteuern hoch wovon wir leben (Fleiß, Arbeit, Erwerbseinkommen) und wir verschwenden was wir nicht (genug) haben (Rohstoffe, Energie) oder genug schätzen (Umwelt, Natur, Wasser, Talente, Erfindungsreichtum); und wir hofieren ererbten Reichtum, der gar nicht nicht erst (wie Goethe empfiehlt) von den Vorfahren erworben werden muss, um ihn legitim zu besitzen.

Im Gegenteil: die plebejische Lotteriewerbung "reich werden mit Klasse" preist aristokratische Eleganz anstrengungslosen Gewinns durch Glück und Fügung - Manna vom Himmel. Nur arbeitsfreie Vermögensmehrung stinkt nicht nach bieder bürgerlichem Fleiß oder proletarischem Schweiß; statt nach pfiffiger, erfolgreich spekulativer und steuerfreier Veranlagung smarter Rentiers zu duften, die vermeintlich nur noch ihr Geld über hoch bezahlte Berater und nicht "Ausgebeutete" für sich arbeiten lassen. Arbeit als Spaß: wie tagtäglicher Lotto-/Totogewinn. Risikolose Steuerspaßkultur.

Wir sind viel fleißiger - und ehrgeiziger - als wir uns selbst eingestehen: niemandem neiden und vermiesen wir daher Erfolg so wie Konkurrenten - und damit uns selbst.
2,6 Millionen Bagatellerwerbstätige bis zu einer Steuerfreigrenze siebenmal höher als in Schweden spielen gar nicht erst mit. Über jede, die darüber hinaus verdient, verhängen wir demoralisierende 36,5% Eingangssteuersatz und Grenzsteuersätze im unteren und mittleren Einkommensdrittel von bis zu 80% - für die keine bei Trost den Finger rührt; und von denen kein Multimilliardär je bedroht würde.

Spitzensteuersätze für Arbeitseinkommen werden ab 60k € im Jahr eingehoben und nicht ab 357k $ wie in den USA oder 250k € wie in Deutschland - also für eine Viertelmillion "Reicher" wie Top-Druckereiarbeiter. Stilles Motto: "neureich" werden durch harte Arbeit zum Nutzen aller, nein danke, reich bleiben nach Lotteriegewinn des Lebens, der Abkunft oder Einheirat, ja natürlich.

Erbschaften, Vermögen und Vermögenszuwächse lassen wir steuerfrei, damit Klasse Klasse und unter sich bleibt. Kapital bleibt fast unbesteuert weil scheu und "flüchtig", Scholle, Grund und Boden, Häuser, Schlösser, Wälder und Seen hingegen bleiben unbesteuert, weil wir kleinen Hausbesitzer zwar nicht flüchten aber sehr bös werden könnten wenn wir nach Markt- statt nach Einheits-Witzwerten taxiert würden - oder vielleicht doch aus dem Weinviertel glatt ins Tessin oder an den Genfer See exilieren könnten.

Neu-Feudalismus statt "(Hoch)Leistungsgesellschaft": ein gutes Land für Rentiers, Reiche, Stifter, Erben, Beschenkte, Arme, Rentner, Beamte, "Versorgungsklassen" (Karl Renner), bezuschusste Teilaussteiger, betuchte Müßiggänger, Spieler und Lotteriegewinner - nicht für ungemütlich hart Arbeitende und Unternehmer. (Bernd Marin/DER STANDARD, Printausgabe, 13.5.2009)