Jeder vierte Unfall auf deutschen Straßen geht nach Einschätzung von Experten auf Sekundenschlaf zurück. Doch während in den vergangenen Jahren immer neue Sicherheitstechnik für Autos entwickelt wurde, fehlt es bisher an einem verlässlichen Schutz vor dem tückischen Einnicken am Steuer. Seit Jahren testet das Team des Neuroinformatikers Martin Golz an der Fachhochschule Schmalkalden (Thüringen) im Fahrsimulator solche Warnsysteme. Bisher war keines so gut, dass es die unterschiedlichen Signale für bevorstehenden Sekundenschlaf rechtzeitig erkannt hätte. Auch die Warnsysteme vom Gurtrüttler bis zur mahnenden Stimme aus dem Cockpit haben sich nicht wirklich bewährt. Golz: "Der Autofahrer gewöhnt sich an alles."

Optimales Gerät noch nicht erfunden

Derselben Meinung ist der Allgemeine Deutsche Automobil-Club ADAC. "Ein optimales Gerät wurde noch nicht erfunden", sagt der Technik-Experte des ADAC Hessen-Thüringen, Wolfgang Herda. Viele Geräte steckten noch in den Kinderschuhen. Sie reagierten nicht flexibel genug etwa auf Witterungsänderungen. Geräte zur Überwachung der Müdigkeit müssten wie die Navigationsgeräte bald zum Standard in den Fahrzeugen gehören, fordert er. Sie ersetzten aber nicht die Verantwortung der Fahrer, nur hellwach hinters Lenkrad zu steigen.

Sekundenschlaf-Datenbank

Um Abhilfe zu schaffen, hat das Team von Professor Golz aus Schmalkalden einen Referenzstandard für Sekundenschlaf erarbeitet. Grundlage ist eine Datenbank mit mehr als 25.000 Beispielen. An den komplexen Biosignalen wurde mit Computern ein Verfahren zum Erkennen des Sekundenschlafs entwickelt. Die Fehlerquote liege nur bei neun Prozent, erklärt der Forscher. Weltweit gebe es keine vergleichbaren Resultate. So haben die Forscher herausgefunden, dass ein übermüdeter Autofahrer im Labor bis zu 15 Mal kaum bemerkbar einnickt, bevor es tatsächlich zum Sekundenschlaf und einem Unfall kommt.

Vor alles Berufsfahrer gefährdet

Gefährdet sind vor allem Berufskraftfahrer, Autofahrer nach langem Dienst und Pendler, junge Erwachsene nach durchwachter Nacht und Menschen mit krankheitsbedingter Schläfrigkeit. Beim Sekundenschlaf wird die Gehirnaktivität in Sekunden-Bruchteilen heruntergefahren und das Auto ist bis zu fünf Sekunden führerlos. Begleitet wird er von starren Augen, Kopfnicken, verlängertem Lidschluss und Tunnelblick. Gefährlich ist dieses Phänomen vor allem, weil der Autofahrer mit fortschreitender Müdigkeit seine Tauglichkeit zum Fortsetzen der Fahrt immer schlechter beurteilen kann.

Biosignale aus dem Hirn verarbeiten

Ein neues Gerät zur Überwachung der Müdigkeit könnte es bald für Autofahrer mit Glatze geben. Ein Basecap, ausgerüstet mit sogenannten Nano-Carbon-Textilien, könnte Biosignale aus dem Hirn direkt verarbeiten und vor dem gefürchteten Sekundenschlaf warnen, berichtet Golz. Doch das Gerät funktioniert bei Menschen mit dichter Haartracht nicht. Sie müssten sich Elektroden an die Haut kleben oder sich mit einem Chip piercen. Doch das ist wenig praktikabel. In einem neuen Forschungsprojekt arbeiten die Wissenschaftler nun an einem Test. Ähnlich dem Alkoholtest soll er extrem müde Fahrzeugführer innerhalb von 60 Sekunden überführen. Allerdings ist auch das noch Vision.

Blackbox

Für pädagogisch sinnvoll hält Golz den Einbau einer Blackbox wie in Flugzeugen. Damit könnten alle Fahrmanöver dokumentiert und Unfälle analysiert werden. In erster Linie aber könnte das Gerät das Verantwortungsbewusstsein des Fahrers stärken. Positive Effekte erhofft er sich auch von Rüttelstreifen. (APA/dpa)