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Anna Artaker in ihrem Wohnatelier mit Bücherwand: "Ob ich in einem anderen Raum arbeiten kann, weiß ich gar nicht."

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Neuschreibungen der Geschichte in Unbekannte Avantgarde (2008): Männlich dominierte Künstlergruppen des 20. Jahrhunderts mit Anna Artakers Zuweisung weiblicher Protagonisten.

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Ein Selbstportrait: Das Personenalphabet (2008) als visueller Allgemeinplatz zwischen Autorin und BetrachterInnen. Installationsansicht im Wiener Fluc.

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Neuinszenierung von Totenmasken: Anna Artakers Film 48 Köpfe aus dem Merkurov Museum in einer Installationsansicht aus dem Salzburger Kunstverein.

 

Zur Person:
Anna Artaker wurde 1976 in Wien geboren. Nach ihrem Studium der Philosophie und Politikwissenschaft in Wien und Paris hat sie an der Akademie der bildenden Künste Konzeptuelle Kunst studiert. Sie ist Künstlerin sowie Herausgeberin, Übersetzerin und Lektorin für Kunstbücher. Zuletzt war ihre Arbeit 48 Köpfe aus dem Merkurov Museum in der gleichnamigen Einzelausstellung im Salzburger Kunstverein zu sehen. Im Herbst 2009 nimmt sie an den Ausstellungen "Modernologies" im MACBA (Museu d'Art Contemporani de Barcelona) und "In-Between Documentary and Fiction" in Bukarest teil.

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Bücher, Papierrollen, Kartonschuber und Bibliographien: Das Archiv in all seinen historischen Facetten und zeitgenössischen Bedingungen zieht sich wie ein roter Faden durch Anna Artakers Leben und Kunstwerke. Das spiegelt sich auch in der Bücherwand wider, die in ihrem Wohnatelier bis an die Decke reicht. Mit einer kleinen hölzernen Leiter erreicht sie auch den Plafond des Raums in einem Wiener Altbau und somit die obersten Etagen des Regals.

"Es wäre schon gut, einen extra Tisch zu haben", sagt die Künstlerin, die in Wien und Paris Philosophie und Konzeptuelle Kunst studiert hat: "Denn wenn ich Freunde einlade, muss ich jedes Mal meinen Arbeitsplatz frei räumen." Anna Artaker sucht zwar im Moment ein Atelier, ganz wohl fühlt sie sich aber bei diesem Gedanken noch nicht: "Immerhin habe ich in den vergangenen zwölf Jahren in meiner Wohnung gearbeitet. Ob ich das auch in einem anderen Raum kann, weiß ich also gar nicht." Sie lacht.

Weibliche Avantgarde

Das chronologische Aufbereiten von Themen hat sich im Laufe des beruflichen Lebens der Künstlerin als bewährte Arbeitsmethode herauskristallisiert. Mit Archiven arbeitet sie sowohl wissenschaftlich als Lektorin, Übersetzerin und Herausgeberin von Kunstbüchern, als auch künstlerisch. Unbekannte Avantgarde (2008) lautet etwa der Titel einer ihrer Arbeiten, die im kommenden Herbst bei der Ausstellung Modernologies im Museu d'Art Contemporani de Barcelona (MACBA) gezeigt wird. Anna Artaker geht bei dieser Fotoinstallation von der Abbildungsfunktion der Fotografie aus. Daraus ergibt sich der vermeintlich privilegierte Zugang des Mediums Fotografie zur Realität, der jedes Foto automatisch zum historischen Dokument werden läßt.

Für diese Arbeit hat sie in Bibliotheken insgesamt zehn Bilder von bekannten Künstlergruppen des 20. Jahrhunderts recherchiert: Dadaisten, Surrealisten, Bauhaus und die Situationistische Internationale gehören genauso dazu wie etwa die Abstrakten Expressionisten und andere. Allen Fotografien ist eines gemeinsam: Unter die Gruppe der abgelichteten Personen, respektive Männer, mischt sich je eine Frau, die man - heute - als "Quotenfrau" bezeichnen würde. "Werden Fotos einmal publiziert, werden sie immer wieder reproduziert", sagt Artaker und erklärt, dass dieser Vorgang in engem Zusammenhang mit der Ortsgebundenheit von Archiven und nicht zuletzt auch mit Kosten steht.

Bekannte Zuschreibungen

Unbekannte Avantgarde ist aber nicht nur die bloße Aneinanderreihung historischer Fotografien. Die Künstlerin hat den klassisch auf Barytpapier ausgearbeiteten Bildern Ergebnisse einer Recherche gegenübergestellt: Auf Papierblättern, die nur die Silhouetten der Personen auf den ursprünglichen Bildern zeigen, hat sie den männlichen Köpfen die Namen von Dadaistinnen, Surrealistinnen, weiblichen Mitgliedern der Situationistischen Internationale und des Abstrakten Expressionismus eingeschrieben. Jedem Kopf ist eine Nummer zugeordnet, die auf einen Frauennamen in der Legende verweist.

"Die erste Zeile auf dem Papier, also die bibliografische Angabe, die ich den Fotos zur Seite stelle", sagt sie, "kann man auch als Handlungsanweisung lesen." Es ist der Aufruf, die jeweiligen Archive aufzusuchen und anderes als das ohnehin bekannte Fotomaterial zu suchen. Anna Artaker erarbeitet in Unbekannte Avantgarde eine Parallelgeschichte. Sie versucht, die Wahrnehmung und die Inszenierung dokumentarischer Fotografien zu korrigieren und zu verdeutlichen, dass neben der offiziellen (Kunst-)Geschichtsschreibung auch noch zahlreiche weitere Varianten existieren.

Fotografisches Selbstportrait

Das Fotomaterial, das die Künstlerin für ihre Arbeiten verwendet, besteht häufig aus visuellen Allgemeinplätzen. So auch jene Bilder, die als Grundlage für das Personenanalphabet (A Portrait of the Artist as an Alphabet) (2008) dienen. Bei dieser 32-teiligen Plakatinstallation, die sie im vergangenen Jahr unter anderem im Wiener Fluc gezeigt hat, handelt es sich um ein Alphabet, dessen Buchstaben sich aus Portraitfotos unterschiedlichster, eher assoziativ als nach einer Struktur geordneter Personen zusammensetzen.

Andy Warhol steht für "A", Romy Schneider für "R", Sigmund Freud für "S", usw. Es sind Bilder von Personen, die immer wieder in diversen medialen Kontexten zirkulieren und mittlerweile Teil einer visuellen Populärkultur geworden sind. "Das 'Personenalphabet'", sagt Anna Artaker, "ist eine Art Selbstportrait." Sie bezieht sich dabei auf ganz persönliche visuelle Referenzen: "Ich zeige beispielsweise auch Ronald Reagan in dieser Installation. Er hat zwar mit den restlichen Personen nicht viel zu tun, sein Bild ist aber Teil meiner persönlichen Geschichte", so die Künstlerin, die in ihrer Kindheit in den 1980er Jahren mit dem ehemaligen Präsident der USA - sozusagen - groß geworden ist.

Unbekannte Verständigungscodes

Die Zusammensetzung des Personenalphabets hängt also in erster Linie mit den Lebensumständen und Interessen seiner Autorin zusammen. Die Lesbarkeit als kohärenter Text - im Untertitel der Arbeit gelesen als: A Portrait of the Artist as an Alphabet - ergibt sich aus den Überschneidungen des visuellen Gedächtnisses der Autorin mit jenem der BetrachterInnen. Anna Artakers Reflexionen über einen zwischenmenschlichen Verständigungscode via Bildwelten und die daran gebundenen Interaktionsmuster, entwickelt sie bei dieser Arbeit über die Identifizierbarkeit von Menschen anhand ihrer Portraits. "Bisher war das Passfoto jenes Medium, mit dem man sich eindeutig ausweist", erklärt sie und hält dagegen: "Ich denke aber, dass sich diese Art von Fotografie gar nicht für diesen Zweck eignet. Das basiert auf dem Glauben, dass jeder Mensch mit einem einzigen Blick erfassbar ist. Es ist möglicherweise ein Irrglaube, dass die Fotografie eine wirksame Kontrolle sein kann und Wirklichkeit dokumentiert."

Historische Gesichter

Im Gegensatz zu ihrer Arbeitsmethode, sich an bestehendem Bildmaterial zu bedienen, es umzudeuten und somit für die BetrachterInnen Vexierbilder der Geschichte zu konstruieren, produzierte Anna Artaker mit 48 Köpfe aus dem Merkurov Museum (2008) selbst Bilder. "Mehr oder weniger das erste Mal", wie sie behauptet. Der 16mm-Film nimmt auf formaler Ebene Anleihe bei Kurt Krens Avantgarde-Film 48 Köpfe aus dem Szondi Test (1960). Anstelle der Portraits von Verbrechern und Psychotikern bei Kren treten bei Artaker jedoch Gipsmasken von historischen Persönlichkeiten auf.

Es sind Köpfe, die vom armenisch-sowjetischen Bildhauer Sergei Merkurov zwischen 1907 und 1952 angefertigt wurden. "Dieses Archiv an Totenmasken ist eine Art fragmentarische Abbildung der Geschichte der Sowjetunion", sagt die Künstlerin. "Es scheint wertvoll für eine Gesellschaft zu sein, die Gesichter ihrer bedeutsamen Menschen zu konservieren - als Erinnerung." Als Objekte arrangiert und von mehreren Seiten gefilmt, ist der 8-minütige Streifen - ähnlich wie das Personenalphabet - der Versuch zu verifizieren, ob das menschliche Gesicht wirklich so ausdrucksstark ist, wie angenommen.

Mechanismen der Reproduktion

Um diesen Effekt noch zu verstärken hat Artaker in der kürzlich zu Ende gegangenen, gleichnamigen Einzelausstellung im Salzburger Kunstverein neben dem Film auch Digitalfotos der Totenmasken gezeigt. "Ich denke, dass diese Arbeit auf mehreren Ebenen interessant ist", sagt sie und bezieht sich neben der Repräsentation von Geschichte auf Fragestellungen nach der Reproduzierbarkeit des Kunstwerkes, die bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Walter Benjamin aufgeworfen wurden. "Die letzte Bastion der Aura im technisch reproduzierbaren Bild ist das menschliche Gesicht", fasst die Künstlerin den Philosophen zusammen und erklärt, dass der Abdruck der 48 Köpfe die Voraussetzung für ihre Reproduzierbarkeit darstellt: "Diese Masken sind auch eine Berührung mit dem Original."

Mit ihrem Film und den digitalen Fotos zieht die Künstlerin eine weitere Ebene in diesem Reproduktionskreislauf ein, sie ordnet die Wahrnehmung nach ihren eigene Maßstäben, arrangiert sie neu und geht damit einen Schritt weiter - kein Schritt zu viel. (fair)