Großstadtneurosen auf pikaresker Wanderschaft: Daniel Auteuil in der Nachfolge von Fabrice Lucchini ("Rien sur Robert") als außerhalb des Redaktionsbüros für Verletzungen und Verstörungen Anfälliger:
"Petit coupures" von Pascal Bonitzer
(18. 3., 20.00)

Foto: Festival du film francophone

Was die Trägheit eines Sommermonats hervorbringen kann: Fragen nach dem Sinn von Klavierspiel, Steptanz und Kinderbüchern - und das Pflegen einer Sehnsucht für eine Buchhändlerin:
"Le chignon d'Olga" von Jérôme Bonnell
(19. 3., 20.00)

Foto: Festival du film francophone

Bereits zum fünften Mal bietet das "Festival du film francophone" im Wiener Votiv-Kino französischsprachige Filme aus mehreren Kontinenten - und erfreut dabei mit neuen sehenswerten Arbeiten von Claire Denis und Pascal Bonitzer.


Geschichten, die sehr "französisch" sind: Ein Mann und eine Frau verbringen gemeinsam eine Nacht, danach kommt keine Moral, sondern der Schluss. Claire Denis' jüngster Film, Vendredi soir, reduziert seine Handlung auf ein Thema. Zwei Pariser (Valérie Lemercier, Vincent Lindon) begegnen sich, während auf den Straßen der Verkehr stockt - sie unterhalten sich im Auto, rauchen und landen irgendwann in einem Hotel.

Aber das Geschehen scheint für Denis mehr ein Vorwand, eine momentane Verfassung oder körperliche Zustände zu studieren: Was macht man so im Stau? Oder wie beobachtet man einen Fremden? Die Kamera von Agnès Godard interessiert sich ohnehin mehr für das Stoffliche, die Oberflächen von Körpern und Objekten; Vendredi soir wird so zum Film über (ambivalente) Wahrnehmungsweisen, wobei er die Grenze zur Einbildung bisweilen überschreitet.

Das 5. Festival du film francophone will aber nicht nur sehr französisch sein: Deshalb werden dort - neben Filmen bekannter Autoren wie Denis oder Catherine Breillat (Sex is Comedy), die auch als Gäste erwartet werden - traditionell auch neue Filme aus nordafrikanischen Ländern oder aus Kanada gezeigt. Aus Anlass des fünften Geburtstags gibt es heuer außerdem ein Spezialprogramm aus "Kultfilmen": ältere Arbeiten (u. a. Jacques Tatis Playtime), die von französischsprachigen Filmemachern, Schauspielern und Kritikern ausgewählt wurden.

Eröffnet wurde das Festival mit Aime ton père (Regie: Jacob Berger), einem mit Gérard und Guillaume Depardieu prominent besetzten Vater-Sohn-Drama, das jedoch daran krankt, dass es eher wie ein Fernsehthriller konstruiert ist.

Jérome Bonnells Debüt Le chignon d'Olga ist da, was das Porträt einer etwas aus dem Tritt geratenen Familie betrifft, schon präziser: Es folgt, vielleicht eine Spur zu besinnlich, einem Geschwisterpaar und ihrem Vater, wie sie sich in einer Kleinstadt einen Sommer lang die Zeit vertreiben; unspektakulär, von einem kleinen Drama zum nächsten beziehungsweise entlang den Umwegen des Begehrens steckt Bonnell hier ein Beziehungsfeld ab, aus dem keiner so recht herausfindet.

Bruno (Daniel Auteuil), der unschlüssige Protagonist aus Pascal Bonitzers (Rien sur Robert) neuem Film Petites coupures, fügt sich wiederum nicht nur ständig kleine Verletzungen zu, das ganze Geschehen geht hier aus "Unfällen" hervor, die eine Serie von versponnenen Begegnungen mit Frauen (u. a. Kristin Scott Thomas) auslösen. Bonitzer bedient sich einmal mehr eines boulevardesken Dramas, das er dann in unmögliche Richtungen und (kurz) in andere Genres lenkt - zugleich führt er gewitzt vor, was passieren kann, wenn sich ein Pariser zu lange im Hinterland bewegt. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.3.2003)