Der "Käfig" - die vielgenützte Sportstätte auf Wiens Straßen - ist den Burschen vorbehalten. Diese verteidigen ihren Raum vehement, hat das österreichische Institut für Jugendforschung herausgefunden.

Foto: Christian Fischer

Ivica, 13, muss öfter aus dem Park abhauen, damit er nicht geschlagen wird. Fadime, 15, rammt ihr Knie in den Bauch eines anderen Mädchens, weil sie sich nicht nachsagen lassen will, sie hätte ihr den Freund ausgespannt. Melanie und Yvonne, beide 14, rufen ihre Freunde an und versammeln sich zu Schlägereien. Alles Szenen auf Wiens Straßen.

Das Österreichische Institut für Jugendforschung (ÖIJ) hat für eine internationale Studie, die dem Standard vorliegt, das Gewaltverhalten von Jugendlichen im öffentlichen Raum erforscht und die unterschiedlichsten Motivationen für tätliche Angriffe oder verbale Auseinandersetzungen entdeckt: Burschen geht es vor allem darum, sich Raum anzueignen und den zu verteidigen; Mädchen hingegen wollen soziale Beziehungen kontrollieren. Gemein ist allen das Buhlen um Anerkennung.

Interviews mit Jugendlichen

In Parks und Jugendzentren im 16. und 17. Wiener Gemeindebezirk haben die Forscher des ÖIJ Interviews mit 13- bis 16-Jährigen geführt. Das gewählte Gebiet ist dicht besiedelt, der sozio-ökonomische Status seiner Bewohner ist gering, der Anteil an Bewohnern ohne österreichische Staatsbürgerschaft hoch. Es handle sich zwar nicht um eine ausgewiesene Migranten-Studie, betonen die Autorinnen Ingrid Kromer und Barbara Riepl; man habe bei den Interviews aber vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund angetroffen. Diese nutzen aufgrund der oft beengten Wohnsituation den öffentlichen Raum stärker. Inner-ethnische Konflikte wurden im Rahmen der Studie aber nicht festgestellt.

"Gewalt" haben die Soziologen breit definiert: Provokation, Verbreitung von Gerüchten, rassistische Bemerkungen, Drohungen, Diebstahl, physische Gewalt und vieles mehr. Die Interviewer haben aber längst nicht all diese Formen auf Wiens Straßen gefunden. Von neun Kategorien der Gewalt, die in der Studie definiert wurden, treten in Wien vier häufiger auf: Provokation und Verteidigung, sexuelle Belästigung, physische Gewalt von Burschen an Mädchen und Diebstahl. Rivalitäten zwischen großen Gruppen oder Cyber-Gewalt, die die Studienautoren in allen anderen untersuchten Orten - Järvikaupunki in Finnland, Perkova in Estland und Trewaun in Wales - gehäuft festgestellt haben, gibt es in Wien deutlich seltener. Die Jugendlichen seien hierzulande also längst nicht so gewalttätig, wie ihr Ruf (oder die Kriminalstatistik) vermuten ließe, resümieren Riepl und Kromer. Im Gegensatz zu den anderen untersuchten Ländern sei auch Alkohol in dem Zusammenhang kein Thema.

Fairness-Regeln

Auch wenn es auf der Straße einmal rau zugeht: Gewisse Fairness-Regeln würden die Jugendlichen durchaus beachten, haben die Soziologen bei den Interviews erfahren. "Tabugruppen", die nicht mit körperlicher Gewalt angegriffen werden dürfen, sind Mädchen und Jüngere. "Werden die Mädchen aber als sehr burschikos wahrgenommen, kann es passieren, dass auch sie angegriffen werden", erklärt Kromer. Grundsätzlich werden Mädchen öfter von öffentlichen Plätzen verdrängt: "Der ,Käfig' ist für sie tabu."

Die Jugendlichen selbst haben ein sehr enges Verständnis von Gewalt, ergab die Studie - nur körperliche Gewalt wird tatsächlich als solche wahrgenommen. Obwohl sie negativ konnotiert ist, wird sie von den jungen Menschen auf Wiens Straßen oft als einzige Möglichkeit gesehen, Konflikte zu lösen; die Autorinnen beunruhigt, "dass die Jugendlichen offenbar nicht gelernt haben, ihre Streitigkeiten verbal zu schlichten". (Andrea Heigl/DER STANDARD-Printausgabe, 2.5.2009)