Mulier taceat in ecclesia, das Weib schweige in der Kirche: Dieses geflügelte lateinische Wort bürstet Ernst Brauner in seinem Buch Die wundersame Päpstin mit Verve und Witz gegen den Strich. Denn in Brauners "Schelmenroman" schweigt die Frau nicht nur nicht, sondern sie dringt sogar, in einer ziemlich gewandelten katholischen Kirche, bis ganz an die Spitze der Kirchenhierarchie vor. Also eine weitere Päpstin in der Nachfolge jener umstrittenen Johanna, die, legendär oder tatsächlich, gegen Ende des 11. Jahrhundert im höchsten Amt gewesen sein soll?

Nicht ganz. Bei Brauner verhält sich die Sache ein wenig vertrackter. In einer Nachkriegsgesellschaft, die ausnahmsweise einmal an Frauen- und nicht an Männermangel leidet, schleicht sich Julian Schütz, Protagonist des turbulenten Geschehens, mit einem Trick in ein theologisches Seminar ein: indem er flugs einen Geschlechtswechsel vortäuscht und sich in eine "Juliane" verwandelt.

Die Travestie dient Schütz zur Umgehung des Numerus clausus an der theologischen Fakultät - und dem Autor als Aufhänger für eine Verbindung der Romanhandlung mit gesellschaftspolitischen, philosophischen und religiösen Reflexionen, die schon seinen vorhergehenden Roman Struldbrugs gekennzeichnet hatten.

Strebend bemüht

War es damals um das Altern, die Überalterung und um die gesellschaftlichen Auswirkungen gegangen - ALBUM-Lesern ist Brauner womöglich noch als Autor eines Beitrags über sein Leben "im 80sten Jahr" in Erinnerung -, so sind in Die wundersame Päpstin die unterschiedlichen Welten der Männer und der Frauen das Thema. Es geht aber auch, in engerem Sinn, um das "Geschlecht" Gottes und seiner Stellvertreter auf Erden, und um die Art und Weise, wie sich die "sanfteren Wellen von Frauenherzen und der strengere Takt von Männerhirnen" im religiösen Denken, Verstehen und Empfinden niederschlagen.

"Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen" : Diesen Satz aus Goethes Faust, so heißt es an einer schönen Schlüsselstelle des Romans, verstehen Frau und Mann ganz verschieden: In der "harten" , tendenziell maskulinen Lesart bedeutet er: Nur wer stets, immer, ohne Ausnahme strebend sich bemüht, kann erlöst werden. Das feminine Interpretations-Gegenstück: Wer auch immer, also so gut wie jeder, kann erlöst werden. "Schon der gute Wille, nur ein einziges Mal zur Tat geworden, öffnet die Tür zum Himmelreich."

Narrenhut und Stahlhelm

Der Gegensatz bzw. das einander ergänzende Zusammenspiel von Männlich und Weiblich ist nicht die einzige Reflexionsebene, auf die der Roman eingeht. "Schelmenroman" ist nicht in dem Sinne gemeint, dass die in ihrem Geschlecht changierende Hauptfigur der Schelm wäre. Die in diversen Verkörperungen auftretenden Schelme sind vielmehr die Mächtigen der Erde, die mit ihrem Handeln stets darauf hinwirken, dass die Frage der Theodizee - wie lässt sich die Idee von einem allmächtigen Gott mit der Existenz des Bösen vereinen? - aktuell bleibt: "Es mag schon sein, dass die Welt von Schelmen regiert wird. Als Schelme zumindest kommen sie an die Macht. Dann aber lassen sie die Maske fallen und zeigen ihr wahres Gesicht. Den Narrenhut vertausche sie mit dem Stahlhelm. Und statt Kirchentoren gibt es Bleitüren zu Atombunkern."

Die abschließende Auseinandersetzung von Julian(e) mit den Hauptantagonisten findet in Rom und dem Vatikan statt: Showdown einer Burleske mit Tiefgang, die zeigt, dass man auch im 80sten Jahr noch quicklebendig und ungestüm erzählen kann. (Christoph Winder, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 02./03.05.2009)