Der "Toll de Vidre" im Parc Natural dels Ports ist sanfte Einstiegsstelle für Canyoning-Probierer, und, wie der Name schon sagt, ein glasklarer Naturpool.

Foto: Gencat

Aus gut fünf Meter Höhe in einer engen Schlucht ins eiskalte Wasser zu springen klingt gewagt. Am Anfang schlägt uns das Herz noch bis zum Hals vor Aufregung. Da sollen wir hinunter, in dieses kleine, hoffentlich genügend tiefe Wasserloch? Der Praxistest zeigt, dass es ganz leicht ist, das tragende Element der Region auf diese Weise aufzusaugen: Mit Wasser im Neoprenanzug und geschützt mit einem Helm, folgen wir teils schwimmend, teils rutschend und springend dem Lauf des Gebirgsbaches El Canaletes durch die Schlucht.

Canyoning zu betreiben im südlichsten Teil von Katalonien, nur rund zwei Stunden von Barcelona entfernt, das hört sich nicht unbedingt nach klassischem SpanienUrlaub an. Es ist aber ein logischer Schritt, ja der unmittelbare Sprung in das Herz einer Region, die so unglaublich viel Wasser durch ihre Adern pumpt. Die Terres de l'Ebre, diese Ebro-Region besteht im Wesentlichen aus einem gigantischen Flussdelta und dessen gebirgigem Hinterland als Zulieferer. Der geschützte "Parc Natural dels Ports" mit seinen bis zu 1500 Meter hohen, oft schroffen Felsbergen in der Nähe des Städtchens Horta de Sant Joan ist in diesem Sinn auch ein echter "parc dels esports". Eine gewachsene Kulturregion zwar, aber eine, die sportlich entdeckt werden will - freilich nicht hauptsächlich beim Canyoning, sondern vor allem von Wanderern und Mountainbikern.

Der sogenannte Grüne Weg bei Horta de Sant Joan bietet etwa ein Fahrerlebnis, welches sich auf ganz besondere Weise älterer Wege annimmt: Hier wurde auf der Trasse einer ehemaligen kleinen Regionaleisenbahn ein Radweg angelegt. Immer wieder fahren wir durch stockdunkle Tunnels, ohne Licht hätte man keine Chance, auch nur einen Meter vorwärtszukommen. Unterwegs werden zahlreiche Viadukte überquert, für die Rastpausen dienen die zum Teil bereits schön renovierten ehemaligen Stationshäuschen. Und wenn man nur ordentlich in die Pedale tritt, erinnert das eigene Schnaufen auch ein wenig an die ehemalige Eisenbahn.

In den Dörfern rund um den Naturpark, die sich eng an die Bergrücken schmiegen, machen wir oft unvermutet kulinarische Entdeckungen. Die leichte mediterrane Küche hat den schweren Weg hier herauf nicht immer nehmen können oder wollen: Aus dem Backofen kommt Deftiges, Kaninchen etwa oder Ziegenkoteletts. Und von außen sieht alles oft recht unscheinbar aus, aber wenn man einmal drinnen im Landgasthaus sitzt, und sich der schwere Holztisch unter der Last dieser Spezialitäten biegt, weiß man um die Qualität dieser Küche: Schwimmen im kalten Wasser macht ordentlich hungrig, will man mit der Geschwindigkeit reißender Bäche in den engen Schluchten mithalten.

Breit ins Binsendickicht

Der Ebro hingegen schlängelt sich auf gut 130 Kilometer Länge durch die Terres de l'Ebre, ist schon gemütlicher und breiter, bevor er eins wird mit dem Mittelmeer in Form eines riesigen Deltas auf einer Fläche von 320 Quadratkilometern. Nur ein kleiner Teil davon ist bislang Naturpark, in dieser Woche wurde allerdings von der Regionalregierung ein Antrag eingebracht, der größere Gebiete zum Biosphärenreservat machen soll - nicht zuletzt, weil dort viele Zugvögel ab dem Herbst in den Binsendickichten überwintern. Sie haben hier zu Tausenden ihre Nist- und Rastplätze. Die dem Meer zugewandte Seite zeigt ein völlig anderes Gesicht als das Hinterland: Mit Salzwasserseen, Schilflandschaft, aber eben auch mit Gemüse- und den bis zu 4000 Jahre alten Reisanbauflächen, denen das Delta seine Existenz verdankt.

Auf eigenen Wegen kann es zu Fuß, zu Pferd, per Fahrrad oder mit speziellen Booten in den Lagunen durchquert werden, und dennoch lohnt es sich, sich einem ortskundigen Guide anzuvertrauen. Die sogenannten Stakboote werden nämlich ähnlich den venezianischen Gondeln, mit einer großen unhandlichen Stange gesteuert. Wir dürfen das auch einmal selbst versuchen - zumindest so lange, bis wir uns endgültig hilflos im dichten Schilf verheddert haben.

Da ist es schon angenehmer, untätig zu sein, an der Deltamündung in das Motorboot eines Fischers zu steigen und mit ihm über die Wellen hinaus zu den Sandbänken zu jagen, wo sich der Fluss langsam im Meer verliert. Ein bisschen nass werden wir, wenn eine Welle über den Bootsrand spritzt, und dennoch: kein Vergleich zu dem Moment, als wir an der Schlüsselstelle der Canyoning-Tour durch einen natürlich geformten Tunnel tauchen mussten. Tief Luft holen und einfach durch hieß die De-vise, nachdem die Guides zuvor noch mit Argusaugen über uns gewacht hatten und immer wieder Anweisungen für ein sicheres Fortkommen im hüfttiefen, oft sehr schnell dahinfließenden Bach gaben. Das kalte Wasser hier im Delta schmeckt immer noch so erfrischend wie in der Schlucht, nur etwas salziger - und frische Meeresluft zum Atmen gibt es hier nun mehr als genug.

Das Ausflugsboot zur Auster

Auf dem Weg zur Muschelzucht in Sant Carles de la Ràpita sollte der gelernte Tourist bloß nicht allzu misstrauisch werden. Ja, es ist ein großes Ausflugsboot, mit dem es da vormittags um 25 Euro all-inclusive zu einer Holzplattform geht, von der man so schnell nicht mehr wegkommt. Will man auch nicht, denn all-inclusive heißt hier: köstlichste Muscheln und Austern verspeisen, wie sie frischer vom Meer in den Mund nicht kommen können. Der guten Verdauung wegen muss man die nachmittägliche Wanderung an der Küste also nicht machen. Vom Dörfchen L'Ametlla de Mar nördlich des Ebrodeltas schlängelt sich ein knapp zehn Kilometer langer Weg am Meer bis nach Platja de l'Àliga. Der Pfad führt an herrlichen Stränden vorbei, natürlich auch zu ihnen - und so gibt es wirklich keinen Grund mehr zur Annahme, der Aktivurlaub ließe sich hier nicht mit der Auszeit am Badetuch verbinden.

Als unser erfrischendes Treiben im Naturpark dels Ports zu Ende ging, die Schlucht sich öffnete und das Wasser zahmer wurde, stapften wir im knöcheltiefen Bach gemütlich dahin, bevor wir endgültig die Neoprenkluft mühsam auszogen. Ob sich die alten Ritter mit ihren Rüstungen auch so schwergetan haben, fragten wir uns beim Besuch in Miravet. Hoch über dem Ebro thront dieses zur Trutzburg ausgebaute Schloss auf einem Felsen. Es gilt als eines der schönsten Beispiele der romanischen Architektur des Templerordens in der westlichen Welt.

Das imposante Kulturdenkmal ist ohne Zweifel das meistbesuchte Gebäude der Terres de l'Ebre, und auch dieser Ort verschließt sich heute keineswegs dem sportlichen Zugang zu Wasser. Von Miravet nämlich geht es auf dem breiten, ruhigen Fluss im Kajak gemächlich bis nach Benifallet - theoretisch jedenfalls, denn abgesehen von der enormen Anstrengung für die Oberarme erweist sich bereits das Einsteigen als heimtückische Schwierigkeit. Eine kurze falsche Bewegung, und schon wird aus dem Kajakfahren wieder ungewollt Canyoning.

Aber an weitere sportliche Experimente ist im Moment ohnehin nicht zu denken, der Magen knurrt im Mas de Cigarrer, einem kleinen Lokal in Horta de San Joan. Und bevor nicht der letzte Happen Crema catalana verdrückt ist, interessiert uns auch der Kubismus nur in Form eines Zuckerwürfels im starken Kaffee. Dabei hat sich doch Pablo Picasso zweimal in Horta de Sant Joan aufgehalten. Während seines ersten Besuches von 1898 bis 1899 entstanden noch Gemälde, die eine traditionelle Sprache sprechen. Erst bei seinem zweiten Aufenthalt im Jahr 1909 begann das kubistische Abenteuer. Im Centre Picasso d'Horta können sein Wirken und seine Verbundenheit zu diesem Dörfchen nachvollzogen werden. "Alles, was ich weiß, habe ich von Horta gelernt," war von ihm zu hören. Zu sehen ist die scharfkantige Gestalt des Santa-Barbara-Bergs hinter dem Ort.

'Alles, was ich weiß, habe ich von Horta gelernt', war von Pablo Picasso zu hören. Zu sehen ist die scharf- kantige Gestalt des Santa-Barbara-Bergs hinter dem Ort. (Martin Grabner/DER STANDARD/Printausgabe/25./26.4.2009)