Was in Bern und von hier aus nicht schon alles geschehen ist. 1904 erfand Albert Wander die Ovomaltine, 1908 Theodor Tobler die Toblerone. Albert Einstein schrieb in Bern die Spezielle Relativitätstheorie (1905). Wir überspringen ein paar Jahrzehnte und landen im Wankdorfstadion, wo es 1954 zum "Wunder von Bern" (deutscher Fußball-WM-Titel) kam. 1958 wurde Das Wirtshaus im Spessart mit der Bernerin Liselotte Pulver uraufgeführt, 1962 stieg Ursula Andress aus Ostermundigen bei Bern als erstes Bondgirl nicht wirklich in Pulvers Fußstapfen.
1968 verpackten Christo und Jeanne-Claude die Kunsthalle, 1969 betraten Neil Armstrong und Edwin Aldrin den Mond, um ein von der Uni Bern entwickeltes Sonnensegel zu setzen. 1983 wurde die Altstadt als Weltkulturerbe anerkannt, und Nicolaus Hayek lancierte eine Plastikuhr (Swatch), der 1994 ein Kleinauto (Smart) folgte. 1997 gab das Berner Ensemble I Salonisti das Bordorchester im Film Titanic. 2006 kam der weltbeste Käse aus dem Emmental. Und 2009 fuhr Mark Streit mit der Straßenbahnlinie 9.
Nun mag Herr Streit in Österreich und selbst in der Standard-Leserschaft nicht allen ein Begriff sein, doch ist seine Bimfahrt schon sehr bemerkenswert. Denn in der Schweiz und im Eishockey gilt Streit als Superstar, als einer der weltbesten Verteidiger, die New York Islanders geben ihm für fünf Jahre 20,5 Millionen Dollar. Am Sonntag schoss er in der Overtime das 3:2 gegen Deutschland. Zwei Stunden später setzte sich Streit, der noch Interviews gegeben hatte, in den Neuner, um den Kollegen, die im Bus vorgefahren waren, zum Teamhotel zu folgen. Klar, dass Herr Streit im Wagon den Fans auffallen und sich per Signatur verewigen musste auf ihren Trikots und Pappkartonhelmen.
Die Schweizer Lockerheit
Nach drei Stationen stieg Streit aus, er hatte noch ein kurzes Stück zum Hotel zu gehen, und die Fans applaudierten ihm nach. Sein Auftritt war Pars pro Toto für jene Lockerheit, die das Schweizer Eishockeyteam ganz allgemein an den Tag legt. Trotz Heim-WM, trotz Drucks der Medien. Von den Eidgenossen wird viel erwartet, der Einzug in die Zwischenrunde, den die Schweizer mit knappen Siegen über Frankreich und Deutschland rasch fixierten, reicht noch lange nicht. Selbst der Schweizer Verband wünscht sich einen Medaillengewinn. Dabei wäre der Einzug ins Semifinale eine Sensation, wie sie alle heiligen Zeiten einmal vorkommt. 1998 war so eine Zeit, damals belegte die Schweiz, die soeben erst aufgestiegen war, Rang vier. Seither stand sie regelmäßig im Viertelfinale, auch bei Olympia 2006, wo Siege gegen Tschechien und Kanada gelangen.
Trotz dieser Erfolge ist Teamchef Ralph Krueger nicht unumstritten. Der Deutsch-Kanadier, der vor diesem Engagement erfolgreich in Feldkirch werkte, sieht sich groben Attacken des Boulevards ausgesetzt. "Die Auswahl will Großes schaffen, mit Krueger ist das unmöglich", hieß es im Blick. Krueger (49), der einst für Düsseldorf stürmte, ignoriert die Untergriffe. "Ich lese nicht Zeitung, höre nicht Radio, sehe nicht fern, surfe nicht im Internet", sagt er. Heute, Dienstag, wollen die Schweizer in ihrem letzten Gruppenspiel den russischen Weltmeistern zusetzen. Auszuschließen ist, dass Mark Streit mit der Straßenbahnlinie 9 vom Hotel zur Halle fährt. Aber sonst schon gar nichts. (Fritz Neumann aus Bern, DER STANDARD, Printausgabe, Dienstag, 28. April 2009)