Gut oder schlecht?

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"Zuviel Waschen ist ungesund, die Kinder brauchen Dreck" - ein wohl oft gehörter Rat - meist von Großmüttern an die Eltern des Familiennachwuchses. Angesichts der vollen Supermarktregale mit antibakteriellen Mitteln für den Hausgebrauch und der allgemein forcierten Phobie vor unsichtbaren Bakterien eine scheinbar seltsame These. Stellen sich doch bei fürsorglichen Eltern beim Gedanken an Sand essende Kinder und ungewaschene Hände tendenziell eher unangenehme Gefühle ein.

Training fürs Immunsystem

Hinter dem gut gemeinten Rat steckt aber tatsächlich etwas Größeres. Laut einer These kann sich das Immunsystem von Kindern nur dann gut entwickeln, wenn es frühzeitig trainiert wird - sprich Gelegenheit zur Konfrontation mit Krankheiten, Bakterien usw. hat, sonst bleibt es lasch. Mediziner der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP) glauben auch, dass die übertriebene Hygiene mit Schuld daran hat, dass sich die Allergie- und Asthmahäufigkeit im Kindesalter in den letzten 20 Jahren verdoppelt hat. Hauptursache dafür sei, dass die Kinder zu sauber, zu keimfrei aufwachsen.

Verwirrender Name

Hinter der viel zitierten "Hygienehypothese" steckt aber tatsächlich etwas anderes. Seit 2006 erforschen Wissenschafter im deutsch-sprachigen Raum im Rahmen der so genannten Gabriel Studie die Entstehung von Allergien und Asthma. Eine riesige Datenbank soll Aufschluss darüber geben, wie sich Umwelteinflüsse auf die Entwicklung von Allergien und Asthma auswirken, wie sie das Immunsystem dirigieren. Die Hoffnung der Forscher: dass man irgendwann soweit sein wird, die immunstärkenden Substanzen zu isolieren und der Ernährung beizufügen. Das ist aber freilich noch Zukunftsmusik.

Mikroben, die schützen

Laut den noch nicht fertig ausgewerteten Ergebnissen der Gabriel-Studie bekommen Kinder, die am Bauernhof aufwachsen mit geringerer Wahrscheinlichkeit Allergien und Asthma als andere Kinder. "Das hat mit Hygiene wenig zu tun. Dieser Schutz hängt mit der Exposition zu Tieren, Futtermittel im Stall und allem was mit Milchwirtschaft zusammenhängt, zusammen", weiß Erika von Mutius, Oberärztin am Haunerschen Kinderspital in Deuschland und Leiterin der Studie. Im Moment sind die Wissenschafter dabei, herauszufinden, welche Mikroben das sind, die im Stall vorkommen. In Tirol, Schweiz, Bayern und Baden Württemberg hat man konsistente Effekte nachweisen können.

Erfolge im Tierversuch

"Wir haben Keime isoliert, vermehrt und Mäusen in die Nase gesteckt. Wenn diese Keime schon vorher auf der Nasenschleimhäute der Mäuse ist, kriegen sie kein allergisches Asthma mehr", erläutert von Mutius die ersten weiteren Schritte in der Forschung. Aber die Maus ist noch weit entfernt vom Menschen. In einigen Jahren sollen auf Basis der Erfahrung mit den Mikroben Substanzen zur Prävention von Allergien entwickelt werden, so die Hoffnung.

Keine Daten

Genau genommen gibt es aber keine wirklichen wissenschaftlichen Daten dazu ob zuviel Händewaschen Krankheiten begünstigt oder umgekehrt weniger Hygiene vor Infektionen schützt. Sand essende Kinder am Spielplatz sind also weder Anlass zur Panik noch zu übertriebener Wurstigkeit. Von Mutius meint dazu: "Die Hygienehypothese hat zwar diesen schönen Namen, meint aber eigentlich etwas anderes". (Marietta Türk, derStandard.at, 30.4.2009)