In Wien ist eine Retrospektive seiner Arbeiten zu sehen.
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Wien - "Was politische Utopien betrifft: Ich habe das kommunistische Regime Pol Pots miterlebt, ich weiß um die Verbrechen Stalins und Maos - und dennoch kann man sich die Frage stellen, ob man deshalb auch den Glauben an ein anderes System aufgeben muss." Der kambodschanische Filmemacher Rithy Panh, als Jugendlicher einem Umerziehungslager der Roten Khmer entkommen, erweist sich im Standard-Gespräch als ein pragmatischer Optimist. Die Schattenseiten der Politik haben ihn zu einem hartnäckigen Aufklärer gemacht, zu einem unermüdlichen Bekämpfer des Vergessens.
"Wenn man sich die aktuellen Entwicklungen ansieht und dann die Frage stellt, ob der Kolonialismus zu Ende ist, muss man ganz klar mit Nein antworten.", sagt Panh, mittlerweile 45 Jahre alt. Deshalb sei es so wichtig, eine historische Perspektive einzunehmen, wenn man über Globalisierung spricht. Und deshalb habe er sich bei seinem dritten Spielfilm, Un barrage contre le Pacifique, erstmals für ein historisches Sujet entschieden.
Basierend auf einem Roman von Marguerite Duras erzählt der Film von der Mutter der Schriftstellerin (verkörpert von Isabelle Huppert), die mit ihren beiden Kindern im Indochina von 1931 einen Windmühlenkampf gegen die Behörden ausficht. Um ihre Reisfelder vor Überschwemmungen zu schützen, möchte sie gemeinsam mit der Landbevölkerung einen Damm errichten. Das will man verhindern.
"Natürlich hat mich vor allem die Tatsache inspiriert, dass der Roman in Kambodscha spielt", erzählt der Regisseur. Die Aktualität des Buches, das in Frankreich ein Bestseller war, liegt für ihn in den Analogien, die der Kampf der Mutter zur Gegenwart erlaubt: "Der Traum des Zusammenlebens und der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen ist nicht obsolet. Die Mutter will als Lehrerin Bildung ins Land bringen. Mir ging es um die Utopie, dass ihr Rebellentum konkrete Wirkung zeigt."
Die Nationwerdung Kambodschas, das sich nach dem verheerenden Regime von Pol Pot schrittweise wieder zu öffnen beginnt und mit einer neuen Epoche konfrontiert ist, beschäftigt Rithy Panh auch in seinen Dokumentarfilmen. In La terre des âmes errantes begleitet er die Verlegung eines Glasfaserkabels, das dem Land Anschluss an die Datenhighways der restlichen Welt bringen wird. Bei Grabungen stößt man auf die Überreste der Geschichte: auf Landminen und Knochenreste der rund zwei Millionen Toten, die die Roten Khmer zurückließen.
Das Spannungsfeld aus Geschichte und Gegenwart sei bei Dokumentar- und Spielfilmen ähnlich: "Für mich ist ein Film ein Film. Dokumentarfilme sind in der Regel jedoch schwieriger, weil man ja nie so genau weiß, was die Leute sagen werden." Die Stärke des Dokumentaristen Panh liegt in seiner Unvoreingenommenheit und Bereitschaft zuzuhören. Jeder Film ist ein Versuch, dem Volk seine Stimme zurückzugeben, indem Erinnerungsarbeit geleistet wird: egal, ob das in Les gens d'Angkor eine Landbevölkerung ist, die unterschiedliche Schöpfungsmythen ausbreitet, oder ob sich in S21, la machine de mort Khmère Rouge Opfer und Täter in Pol Pots berüchtigtem Foltergefängnis Tuol Sleng gegenüberstehen.
Mediale Erinnerungsstützen
Panh bedient sich fiktionaler Strategien wie theatraler Nachstellungen und erweitert mit Malereien und Fotografien das Darstellungsspektrum. "Der Regisseur von Shoah, Claude Lanzmann, hat einmal gesagt, Worte seien bereits ein Archiv, und anderer bedürfe es nicht. Ich finde jedoch, Fotos und Malereien sind eine andere Form von Gedächtnis, das gerade dann hilfreich ist, wenn man sich - etwa als ehemaliger Gefangener - nicht mehr erinnern kann oder will."
Panhs Ästhetik ist somit durchaus zweckgerichtet. Er arbeitet an einem umfassenden Bilderarchiv seines Landes, an einem kollektiven Gedächtnis - in seinen Filmen, aber auch mittels eines audiovisuellen Zentrums in Phnom Penh, das den historischen Bilderfundus aufarbeitet und für alle frei zur Verfügung stellt: "Man sollte das universell formulieren wie die Menschenrechte: das Recht auf ein freies Bildergedächtnis.". (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD/Printausgabe, 27.04.2009)