Altin Raxhimi: "Es ist ein offenenes Geheimnis, dass die albanische Armee die UCK unterstützte."

Foto: Berthold Eder

Der albanische Journalist Altin Raxhimi sorgte Mitte April für Aufregung in Albanien, als sein Bericht über die Misshandlung Gefangener in Lagern der kosovo-albanischen UCK erschien. Der Artikel, für den er ein Jahr lang Zeugen befragte, erschien auch in albanisch- und serbischsprachigen Medien, auch BBC Radio sendete eine halbstündige Dokumentation. Berthold Eder traf Raxhimi bei seinem Wien-Aufenthalt.

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derStandard.at: Welche Reaktionen gab es auf die Veröffentlichung ihres Texts?

Altin Raxhimi: Ich habe es mir schlimmer vorgestellt. Eigentlich rechnete ich mit aggressiven Beschimpfungen, die es natürlich auch gab. Viele Leute haben mir aber auch ganz richtig gesagt, dass es bei dieser Geschichte um einen Kriminalfall geht und nicht darum, die Grausamkeiten der UCK gegen die der Serben aufzurechnen. Ich wurde allerdings auch als russischer und jugoslawischer Spion beschimpft.

Im Kosovo herrscht meines Erachtens Unzufriedenheit darüber, dass sich Leute, die sich nach dem Krieg als Anführer bezeichneten, solche Taten begangen haben. Es gibt keine politische Weiterentwicklung, um die Sicherheit steht es nicht besonders gut, und viele Leute sind der Meinung, dass einige ehemalige UCK-Kommandanten dafür verantwortlich sind.

Viele Leute dort wussten, was sich während des Krieges abgespielt hat und waren nur eher über die Tatsache erstaunt, dass eine Zeitung solche Berichte veröffentlicht als über den Inhalt selbst. In Albanien selbst wurde die Affäre kaum aufgegriffen, weil man keine schlechten Nachrichten über Albaner lesen will.

derStandard.at: Viele Berichte über Übergriffe der UCK berufen sich auf UN-Dokumente. Warum untersucht leitet Ihrer Meinung nach die UNMIK keine Untersuchung ein?

Raxhimi: Dafür könnte es drei Gründe geben: Die UNMIK hat zuwenig Personal, um allen Vorwürfen nachzugehen. Die politische Lage im Kosovo ist sehr instabil und die UNO war auf die Kooperation der ehemaligen UCK-Kämpfer, die jetzt in der Regierung sitzen, angewiesen. Drittens gibt es ein Problem mit dem Zeugenschutz im Kosovo: mindesten zwanzig Personen, die über Kriegsverbrechen aussagen wollten, wurden ermordet.

derStandard.at: Jose Pablo Baraybar, der ehemalige Leiter des UNMIK-Büros für vermisste Personen, wirft dem UN-Tribunal vor, von ihm gesammelte Beweismittel vernichtet zu haben. Wie schätzen Sie die Bemühungen des Tribunals ein, die Vorwürfe gegen UCK-Mitglieder aufzuklären?

Raxhimi:
Dabei geht es um Beweise für Organhandel: in einem Haus im albanischen Burrel wurden unter anderem gebrauchte Ärztekittel und leere Ampullen gefunden. Das Material wurde nach Den Haag geschickt und soll dort gemeinsam mit anderen Beweisen vernichtet worden sein. Es sollen auch Beweise aus Srebrenica verschwunden sein. Dabei kann es sich aber auch einfach um Schlamperei handeln, ich weiß leider nichts Genaueres darüber.

derStandard.at: Sie schreiben in Ihrem Artikel, dass die albanische Armee die UCK unterstützte ...

Raxhimi: Das ist ein offenes Geheimnis. Die albanischen Aufständischen verstanden sich bestens mit der damaligen sozialistischen Regierung, die ihnen auch Zugang zu Diplomatenkreisen verschaffte.

derStandard.at: Wie haben die albanischen Behörden auf Ihren Bericht reagiert? Rechnen Sie damit, dass Strafverfahren eingeleitet werden?

Raxhimi: Das Justizwesen in Albanien funktioniert nicht wirklich, besonders auf dem Land stellt die Staatsanwaltschaft kaum Ermittlungen an. Falls im Kosovo eine Untersuchung eingeleitet würde, könnten sich die albanischen Behörden zu Ermittlungen gezwungen sehen. Aus dem Büro des Generalstaatsanwalts habe allerdings ich gehört, dass es abgesehen von meinem Bericht keine Beweise vorlägen.

derStandard.at: Dabei hat doch die im ehemalige Chefanklägerin am Den Haager Tribunal ähnliche Vorwürfe erhoben ...

Raxhimi:
Viele Kosovo-Albaner beklagen, dass in Del Pontes Buch nur die Übergriffe gegen Serben vorkommen und die Gewalt gegen Albaner verschwiegen wird. Allerdings wurde in den westlichen Medien bereits groß über die Übergriffe der Serben im Kosovo-Krieg berichtet. Es ist also Zeit, auch die andere Seite zu zeigen.

Wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen und können nicht immer mit "aber die Serben haben auch dies und das getan ..." argumentieren, wenn wir die Zukunft aufbauen wollen.

Der Interpretation serbischer Medien und Blogger, die aus dem Bericht schließen, dass nun endlich erwiesen sei, dass "die Albaner" Kannibalen seien, kann ich mich nicht anschließen. Es ist zu Menschenrechtsverletzungen gekommen, und falls sich die Organhandelsvorwürfe als wahr herausstellen, war dies ein furchtbares Verbrechen. Hier fehlen allerdings konkrete Beweise. Die serbische Sonderstaatsanwaltschaft für Kriegsverbrechen gibt an, sie habe Dick Marty, dem Ermittler des Europarates in dieser Angelegenheit, etliches Material übergeben. Wir werden sehen, ob wir davon noch einmal hören.

derStandard.at: 2001 schrieben Sie in einem Washington Post-Chat, dass vor 1999 die Albaner im Kosovo keine Rechte hatten und seitdem die Serben. Hat sich dies seither geändert?

Raxhimi: Die Lage ist kompliziert: die Serben leben isoliert von der albanischen Mehrheitsbevölkerung in drei Enklaven. Als im ehemaligen Jugoslawien die Kosovo-Albaner von den Serben beherrscht wurden, boykottierten sie die serbischen Institutionen und wollten Selbstbestimmung erreichen. Genauso reagieren die Serben jetzt: sie beteiligen sich kaum am politischen Geschehen und sehen sich weiter als Bürger Serbiens.

Kosovo ist in einer Art Schwebezustand: Ist es ein vollständig anerkanntes UN-Mitglied oder war die Unabhängigkeitserklärung doch illegal? Die Wirtschaftslage in von Serben bewohnten Ortschaften wie Gracanica ist noch schlechter als im Rest des Kosovo, und der serbische Norden von Mitrovica erinnert an ein Stadtviertel im ehemaligen Jugoslawien, wo die Zeit stehengeblieben ist.

Die Verfassung des Kosovo schreibt zwar Minderheitenschutz vor, andererseits hegen viele Albaner Rachegefühle und Serben werden immer wieder bedroht. Über hunderttausend von ihnen sind auch während der NATO-Bombardements aus dem Kosovo geflüchtet und nie zurückgekehrt.

derStandard.at: Wie sehen Sie die wirtschaftliche Entwicklung im Kosovo seit der Unabhängigkeitserklärung?

Raxhimi: Es ist zu früh, um die ökonomischen Auswirkungen der Unabhängigkeitserklärung abzuschätzen. In Prishtina und Gnjilane ist eine rege Bautätigkeit zu beobachten, aber die Arbeitslosigkeit ist weiter sehr hoch und viele Leute leben unter der Armutsgrenze. Es gibt keine funktionierende Industrie, der Großteil der Wirtschaft basiert auf Handel. Wegen der unklaren Rechtslage und der fehlenden Zentralmacht gibt es auch viel Schmuggel. (derStandard.at)