Nach unserem Grenzübertritt verbringen wir einige Tage in Kratie, einer ruhigen Kleinstadt um uns an das Treiben in diesem "neuen" Land zu gewöhnen. Schon von meinem letzten Besuch her kenne ich die jüngere Vergangenheit dieses Landes und den Grund für das Fehlen des sonst in Südostasien so verbreiteten Lächelns.

Der Schrecken in Kambodscha sitzt noch immer tief und offensichtlich wo auch immer man hinblickt. Ich selbst, der ich in einer Generation geboren bin, die die alltäglichen Nachrichten über die wechselhafte Situation in Indochina nicht unmittelbar mitbekommen hat, kann mich nicht erinnern das Wort "Kambodscha" oder den Begriff "die roten Khmer" im Geschichtsunterricht gehört zu haben. Erst später wurde ich auf die Vergangenheit dieses kleinen Landes aufmerksam und erst seit meinem ersten Besuch in Kambodscha anno 2004 habe ich eine ungefähre Idee vom Ausmaß des Schreckens.

Mit kranker Perfektion dokumentierten die roten Khmer ihre Taten bis hin zum Ableben ihrer Opfer.
Foto: Knut Rakus

Derzeit findet in Pnom Penh gerade der Prozess gegen einen ehemaligen Vertreter der roten Khmer statt. Das, was in den Jahren ihrer Schreckensherrschaft in Kambodscha passiert ist, ist noch heute Teil des alltäglichen Bildes, das sich auch uns Reisenden bietet.

In wenigen Worten lassen sich die Jahre 1940 – 1993 folgendermaßen zusammenfassen: Analog zu Laos wurde Kambodscha, ehedem französische Kolonie, während des zweiten Weltkriegs von den Japanern besetzt. Diese zogen sich 1945 zurück und es folgte eine kurze Renaissance der Franzosen, ehe diese das Land in die Unabhängigkeit unter der Herrschaft von Prinz Sihanouk entließen. Angesichts des immer größer werdenden Engagements der USA in Indochina und der Eskalation des Konflikts mit Nordvietnam, erklärte dieser Kambodscha für neutral. Allerdings duldete er die Aktivitäten, die die nordvietnamesischen Truppen entlang der Grenzgebiete zur Versorgung ihrer südlichen Nachbarn durchführten (Stichwort Ho Chi Minh Pfad).

Außerdem erlaubte er den Nordvietnamesen den Hafen von Sihanoukville im Süden als Nachschubpfad zu benutzen. 1970 wurde Sihanouk von General Lon Nol aus dem Amt geputscht, die Rolle der CIA in diesem Putsch ist bis heute umstritten. Lon Nol untersagte sofort die Nutzung von Sihanoukville und setzte auch sonst Schritte, die zur Vertreibung der Nordvietnamesen aus Kambodscha führen sollten – die USA waren erfreut und unterstützten Lon Nol nach Kräften.

Oftmals finden sich im Tuol Sleng Museum Bilder der Opfer zu Lebzeiten und im Tode nebeneinander.
Foto: Knut Rakus

Analog zur Situation in Laos beschränkte sich die Herrschaft Lon Nol lediglich auf urbane Gebiete, während sich am Land eine Widerstandsbewegung bildete, die sich den Namen "Khmer rouge"- die roten Khmer – gab. Diese wurden, was sich später als Ironie analog zur Unterstützung der Taliban durch die USA herausstellen sollte, von den Nordvietnamesen und vom im Exil lebenden Prinz Sihanouk unterstützt.

Als die USA beschlossen ihr Engagement in Indochina zu beenden, war es nur mehr eine Frage der Zeit, bis sich die roten Khmer in Kambodscha durchsetzten und 1975 das demokratische Kampuchea ausriefen. Was folgte waren vier Jahre Schreckensherrschaft, die bis heute ihre Spuren hinterlassen haben.

Nach wiederholten Drohungen der roten Khmer, Südvietnam anzugreifen und die Südvietnamesen "heimzuholen", Saigon war vor Urzeiten ein kambodschanisches Fischerdorf, wurde es den Vietnamesen zu bunt, sie marschierten in Kambodscha ein, vertrieben die roten Khmer und installierten eine Majonettenregierung. 1989 übergaben die Vietnamesen die Macht an die Vereinten Nationen, die 1993 freie Wahlen organisierten.

Bis zu 20.000 Menschen waren in Tuol Sleng inhaftiert, ihr Leben und Sterben wurde penibel dokumentiert.
Foto: Knut Rakus

Seither ist Frieden eingekehrt im Königreich Kambodscha, doch der Schrecken sitzt noch immer tief. Eine ganze Generation musste tiefe Verluste verkraften und heute sieht man kaum Menschen im Alter von 45-60 auf den Straßen, so gut wie jede Familie hat Opfer zu beklagen.
Das was die roten Khmer während ihrer Herrschaft 1975-1979 ihrem Land angetan haben, lässt den mit offenen Augen Reisenden immer wieder erschauern. Weniges davon ist in die Welt gedrungen, hatte doch die Weltöffentlichkeit Nachrichten aus Indochina satt.

Um eine völlig egalitäre rurale Gesellschaft zu formen, wurden alle Städte evakuiert und die Bewohner aufs Land getrieben, wo sie in Kommunen ohne jegliches Privatleben Reis anbauen sollten. Parallel dazu wurden sämtliche Einwohner, die nicht dem egalitären Bild der roten Khmer entsprachen, systematisch zusammengefangen und ermordet. Jeder Bürger, der eine Fremdsprache sprach, irgendeine andere Form von Bildung durchschritten hatte, oder einfach nur eine Brille trug, wurde hingerichtet. Ärzte und Krankenschwestern wurden erst dazu gezwungen, ihr Wissen in wenigen Tagen an 10-14- jährige Kinder weiterzugeben, ehe sie hingerichtet wurden. Binnen kurzer Zeit hatten die roten Khmer in ihrem Gleichheitswahn Kambodscha seiner gesamten Intelligenz beraubt.

Foto: Knut Rakus

Jene, die die Märsche aufs Land überlebten, wurden zusammengepfercht, ihrer Habseligkeiten beraubt und einer permanenten Propaganda ausgesetzt. Sämtlicher Privatbesitz wurde gesammelt und zerstört, Geld und Religion abgeschafft bzw. verboten, Mönche ermordet, Tempel zerstört. Kinder führten lebenswichtige Operationen mit meist fatalem Ausgang durch, während das gesamte Land Reis anbaute. Natürlich konnte diese künstlich geschaffene rurale Gesellschaft niemals die Mengen an Menschen ernähren, geschweige denn annähernd genug Reis produzieren um, wie geplant, den Weltmarkt zu dominieren und schon bald starben jene, die den Terror und die Evakuierungen der Städte überlebt hatten an Hunger. Insgesamt wurde binnen weniger Jahren ein Drittel der Gesamtbevölkerung ermordet oder verhungerte – eine unvorstellbare Zahl.

Die Orte des Schreckens bieten dem Besucher heute einen Einblick in das Ausmaß. Vor allem das ehemalige Schulgebäude Tuol Sleng in Pnom Penh, welches gleichzeitig als Gefängnis und Hinrichtungsort diente, ist bis heute stummer Zeuge dieser staatlichen Zerstörungswut. Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet ein Ort der Bildung, die ja so verhasst unter den roten Khmer war, zum Ort des Grauens wurde.

Tuol Sleng (auch S 21) die Hölle unter Palmen.
Foto: Knut Rakus

Mit perverser Genauigkeit wurde der "Werdegang" aller Opfer, die dieses Gebäude passierten, dokumentiert und fotografiert, oft vor und nach Folterungen. Die Zahl der von den roten Khmer hier dokumentierten Opfer umfasst mehr als 17.000 Fälle.

Egal ob jung oder alt, Frau oder Mann : Wer nicht in den Masterplan des Regimes passte wurde entfernt.
Foto: Knut Rakus

Mittlerweile ist Tuol Sleng eine Gedenkstätte, die bis heute fast unverändert belassen wurde. Ein Rundgang in diesem totenstillen Gebäude lässt einen die Schreie der Insassen erahnen. Als die Vietnamesen 1979 Tuol Sleng erreichten, fanden sie sieben Überlebende.

Knochen auf den Killing Fields außerhalb von Phnom Penh.
Foto: Knut Rakus

Wer die Folterungen überlebte und seine "Schuld" eingestanden hatte, wurde zusammen mit tausenden anderen auf den sogenannten "killing fields" hingerichtet. Diese Massengräber sind bis heute erhalten und auch einer der touristischen Anziehungspunkte außerhalb der Hauptstadt.

Massengrab auf den Killing Fields.
Foto: Knut Rakus

Täglich wurde damals große Gruppen angetrieben, gezwungen, ein großes Loch zu graben und anschließend hingerichtet, wobei oftmals auf die kostbare Munition verzichtet und auf diverse Schlagwerkzeuge zurückgegriffen wurde.

Unidentifierte Schädel, Killing Fields, Cambodia.
Foto: Knut Rakus

Heute sind auch die "Killing fields" ein Gedenkort, die Massengräber wurden geöffnet, Opfer soweit möglich identifiziert, ein Turm beherbergt die Schädel von einigen hundert unidentifizierten Opfern. (Knut)