Hysterie oder Aufklärung? Man glaubt, jemand hat die Zeit zurückgedreht - Die Debatte um die Beziehungen von Helmut Zilk zu Mitarbeitern des tschechoslowakischen Auslandsgeheimdienstes war geprägt von Skandalisierung, Hysterie, Empörung, vorgespielter Ahnungslosigkeit und Bagatellisierung - Jetzt liegt die Akte Schulmeister auf dem Tisch - Von Peter Pirker

Die Akte Schulmeister, die Akte Zilk: _Details aus der Vergangenheit lassen die Verhältnisse im Nachkriegsösterreich plastisch werden. Ein notwendiger Beitrag für die Ost-West-Vergangenheitsbewältigung.

"Spion" und "Agent", das waren Kampfvokabel zur Denunziation und Desavouierung politischer Gegner inner- und außerhalb aller Parteien in der langen österreichi_schen Nachkriegszeit. Man kann sie heute als Metapher eines symbolischen Kampfes darum lesen, wer ein echter und reiner Österreicher ist. Zugleich war es das lokale Getöse der Ost-West-Konfrontation. Alte Denkschemata, die nun fröhliche Urständ feiern.

Skurril erscheint die damalige und heutige Debatte deshalb, weil in der politischen Praxis ohne Beziehungen zu einer der Großmächte wenig bis nichts ging - die Nachrichtendienste waren hierbei selbstverständlich bedeutende Player.

Interessant ist die Frage, wie Beziehungen von Journalisten und dem österreichischen Journalismus insgesamt zu Nachrichtendiensten die mediale Öffentlichkeit in Österreich geprägt haben, welche Funktionen österreichi_sche Medien in den geheimdienstlichen Auseinandersetzungen gespielt haben, wie sie das Bild des Ostblocks geformt haben. Hier könnten Leute Aufklärung geben, die sich in der Causa Zilk etwas naiv anmutend zu Wort gemeldet haben - Zeitzeugen wie Fritz Molden und vielleicht auch Gerd Bacher.

Ein Akt, zwei Beispiele

Es soll hierbei nicht um aufgeregte personifizierte Skandalisierungen gehen, sondern darum, spezifische zeithistorische Phänomene in Europa besser begreifen zu können.

Es gehörte im Kalten Krieg zu den harmloseren Aktivitäten des CIA, westeuropäische Medien im Sinne der US-amerikanischen Außenpolitik (bzw. der CIA-Politiken) zu beeinflussen und, wenn möglich, zu lenken. Welche verschiedenen Formen das annehmen konnte, zeigen Dokumente aus einem CIA-Akt zu Otto Schulmeister, dem langjährigen Chefredakteur der Tageszeitung Die Presse.
Der Akt bildet die Beziehungen von CIA-Beamten in Wien zu Schulmeister (Code „GRCAMERA"), beginnend mit 1961, ab und erstreckt sich bis 1983.

Aber Vorsicht. Nur weil es einen CIA-Akt über Schulmeister gibt, ja sogar mehrere „agent data sheets" war er noch lang kein Agent, schon gar nicht in diesem unsäglichen, populären Sinne eines bezahlten Handlangers, der tut, was ihm sein Führungsoffizier anschafft. Nein, die CIA bespielte im Falle der_Presse meist eine gemähte Wiese. Die Zeitung war ohnehin das Bollwerk proamerikanischer und antikommunistischer Haltung. Schulmeister, der wusste, mit wem er sich da monatlich zum Abendessen traf, platzierte hin und wieder Informationen, die er von der CIA erhielt, er formulierte manch Editorial, das seine CIA-Kontaktleute als Beweis ihrer tüchtigen Beeinflussungsarbeit an ihre Vorgesetzten sandten.

Unterdrückter Heeresreport

Schulmeister ließ sich überzeugen, über den Fluss von US-Geldern an das österreichische Bundesheer 1962 nicht zu berichten, weil es nur der Sowjetunion nutzen würde. So steht es zumindest im Akt, und man sollte sich zugleich klar darüber sein, dass sich in den Darstellungen der Führungsoffiziere immer auch ein spezifisches Eigeninteresse gegenüber den Vorgesetzten abzeichnete, wie insgesamt die institutionelle Selbsterhaltung ein entscheidender Punkt zum Verstehen von Geheimdienstaktivitäten ist.

Führungsoffiziere berichten viel über Absichten, wenig über ihr Versagen. Die CIA-Beamten waren sich nicht ganz einig, wie sie ihr Verhältnis zu Schulmeister einordnen sollten. Einmal wurde er als „direct channel" bezeichnet, dann heißt es, Schulmeister sei „certainly not a controlled agent". Und das war auch richtig, denn _es gab den Akten zufolge weder _einen Vertrag noch irgendeine Form von Verpflichtung. Schulmeister war aus politischen und weltanschaulichen Gründen ein williger „collaborator", der die Avancen der CIA gelegentlich auch zurückwies.

In den CIA-Akten erhielt die Presse den Code GRISPINAL-2. Den Kontakt zwischen Schulmeister und "seinem" CIA-Mann hat allem Anschein nach Fritz Molden hergestellt, als er 1961 die Presse verkaufte. Einem Dokument vom 27. 10. 1961 zufolge ging mit Moldens Ausscheiden die Phase einer viel engeren Beziehung zwischen der CIA und dem Blatt zu Ende. Zitat: "[...] we asked him what chances there were of finding a successor in the ranks of GRISPINAL-2 staff. He stated that although the new editor [Schulmeister] would never agree to the kind of contact which has existed between our_selves, he is perfectly willing to _act as a go-between and intro_-_duce [zensuriert] to the new editor."

Arbeiten auf "regular basis"

Molden erklärte sich also bereit, den Kontakt zwischen einem CIA-Beamten und Schulmeister herzustellen. Der folgende Satz bezieht sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf Molden selbst: „With this final act, unless the subject of VIEN-9801 becomes a reason for contact, the long association of [zensuriert] on a regular basis is ended. We should continue to keep a file on him and wish Headquarters to keep clearance for contact avail_able to us."

Fritz Molden hat viele Bücher über sein Leben geschrieben, über seine Beziehungen zur CIA lässt er uns nicht recht schlau werden. Er könnte uns möglicherweise helfen, zu verstehen, was es bedeutet hat, „on a regular basis" mit der CIA in Verbindung zu stehen, was das VIEN-9801 Projekt war. Auch die Frage, wie es möglich war, die verdienstvolle Aufgabe, eine qualitativ hochstehende, am angloamerikanischen Journalismus orientierte Tageszeitung, die parteipolitisch unabhängig war, in diesem Land zu realisieren und in den 1950erJahren am Leben zu erhalten, ist eine wichtige Frage. Ist es zutreffend, was die Akten andeuten, nämlich, dass die CIA oder eine _ihrer Vorfeldorganisationen der _Presse in ihrer schwierigen Phase 1953 mit „subsidies" (Subventionen) beigestanden ist? Wenn ja, wie wirkt sich so eine Beziehung auf das journalistische Tagesgeschäft und die behauptete redaktionelle Unabhängigkeit aus? Offene Antworten würden uns helfen, die mediale Öffentlichkeit im Kalten Krieg besser zu verstehen.

Ein Versehen?

PS: Dass in dem CIA-Akt über Otto Schulmeister überhaupt Protokolle von Gesprächen mit Fritz Molden, dessen Name übrigens meist zensuriert ist, aus den Jahren 1953, 1955 und 1961 gelandet sind, könnte ein Versehen gewesen sein. Denn die Fortschrittsberichte über das Projekt „Presse" (Code GRSPINAL) wurden natürlich eigens gesammelt.