Foto: Matthias Cremer, Der Standard

Der grüne Bildungssprecher Walser übergibt Nationalratspräsident Graf ein Dokument mit rechtsextremen Aussagen von Gastredner Marinovic

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Herausgeber Mölzer, Vortragender Marinovic

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Marinovic erzählt vom antiken Sieg der Germanen - und sieht Parallelen zwischen der "Umerziehung" im Römischen Reich und in der heutigen EU

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Das Parlament ist ein Tollhaus, zumindest heute. Kamerateams und Fotografen tummeln sich. Sie warten auf Andreas Mölzer, der für die FPÖ gerade die EU-Wahl schlägt. Vor allem warten sie auf Walter Marinovic, von dem manche sagen, er sei ein Rechtsextremer. Die Grünen wollten ein "Hausverbot", so jemand dürfe nicht im Parlament reden. Reporter bedrängen einen Mann in weißem T-Shirt. "Eure Schande heißt Martin Graf", steht drauf. Die Ein-Mann-Demo erweist sich als der grüne Nationalrat Harald Walser.

Grüner Protest

Dann zucken die Blitzlichter. Mölzer kommt, neben ihm Marinovic. Das personifizierte Böse entpuppt sich als Greis in einem Trachtenanzug. Die Fragen eines ORF-Journalisten blockt er mit abwehrender Geste ab. Die Hand des pensionierten Lehrers zittert dabei. "Wir platzen aus allen Nähten", sagt Martin Graf, Dritter Nationalratspräsident und Gastgeber, "ein mediales Echo, das wir so nicht erwartet haben". Gelächter in den Reihen, die wirklich randvoll sind.

Das Dritte Lager hat sich rausgeputzt. Anzüge, Krawatten, Mensur-Narben. Und dann rennt ein Grüner im T-Shirt herum und setzt sich in die zweite Reihe. "Eure Schande heißt Martin Graf" - die Fotografen knipsen, die Besucher johlen empört. "Der gehört rausgeschmissen", sagt ein älterer Herr. Das ist John Gudenus, der einst den Bundesrat verlassen musste, weil er öffentlich Gaskammer-Zweifel angemeldet hatte.

Skandal bleibt aus

Der Grund für den Medien-Ansturm ist nicht das Buch, das Mölzer herausgibt. Unter dem Titel "Europa 2084. Orwell lässt grüßen" sieht er darin den Kontinent untergehen. Bis Freitag vergangener Woche hatte sich kein einziger Journalist angekündigt. Der Grund, warum sie nun doch alle kommen, liegt im Gastvortrag von Walter Marinovic, der sich selbst als "Ostmärker" bezeichnet und "keine Berührungsängste zum deutschen Neonazismus kennt" (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands). Nun kriegen sich die Fotografen gar nicht mehr ein, als der Herr Professor das Podium betritt.

Marinovic ist klug genug, die Journalisten zu enttäuschen. Er spricht zum Thema "Arminius befreite 09 Germanien von den Römern - wovon befreien wir uns 2000 Jahre danach". Neben ihm steht eine Karte mit Germania, Italia, Gallia. Sukkus des Vortrags: Die Römer haben Germanien erobert und die Germanen umerzogen, dasselbe wolle jetzt die EU. "Die umerzogenen Germanen sind nicht nur die Österreicher und Deutschen. Seit die EU mit ihren Kommissaren über uns herrscht, betrifft das ganz Europa", warnt der greise Latein-Lehrer. "Globalisierung" und "Umerziehung", sagt er immer wieder, führten in den Untergang. Rechtsextremen Ausritt gibt es keinen, nicht einmal ansatzweise. "Ich bin von nun an vorsichtig", sagt Marinovic gleich zu Beginn.

Hohn für Faymann

Bemerkenswert an Marinovic - abgesehen von seinem Geschichtsbild - ist auch, dass er Klassenvorstand von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) war. Was sich der Dritte Nationalratspräsident glatt zunutze machte. Schon am Vormittag hatte er von "brieflicher Korrespondenz" zwischen Marinovic und Faymann berichtet und ersteren als "Freund des Bundeskanzlers" tituliert. Das Dementi von Faymanns Sprecherin am Nachmittag: Marinovic habe ihm anlässlich dessen Angelobung wie Tausende andere eine Glückwunschkarte geschickt, die routinemäßig beantwortet worden sei. Graf stellt sich gleich zu Beginn ans Podium und liest Faymanns Brief vor: Von "guter Erinnerung an unsere gemeinsame Zeit" sei da die Rede. Graf lacht, das Publikum mit ihm.

Erst nach den üblichen Jubilaren des Dritten Lagers - neben Marinovic diesmal Hilmar Kabas und Lothar Höbelt - kommt Mölzer nach vorne und stellt sein Buch vor. Er spricht besonnen, ruhig, viel kürzer als Marinovic, der sich bei seinen Ausführungen über Roms Feldzüge mehrmals im Teutoburger Wald verirrt. "Die Kürze lernt man im Europäischen Parlament", scherzt Mölzer. Ihm gehe es nicht um ein Schlechtreden der EU, und er sei nicht gegen Europa, im Gegenteil, betont er. Das schreibt er auch in seinem Buch. Wer in das distopische Konvolut blättert, möchte nicht in Mölzers Haut stecken, so schrecklich ist Europa schon heute.

Mölzers Visionen

In Mölzers Welt ist die "Umvolkung" in vollem Gange. Migranten und "Autochthone" führen in Europas Metropolen einen "latenten Bürgerkrieg". Künftig werde alles noch schlimmer: Es kommt zur "Internierung von unverbesserlich heterosexuellen Elementen", die heutigen Parteichefs werden im 21. Jahrhundert zu Stammesführern und Warlords, denn der gute alte Nationalstaat ist unter der Last heimtückischer Zuwanderer zerbröckelt. 2084, schreibt Hobby-Literat Mölzer auf Orwells Spuren, lebe ein Drittel der Europäer in Elendsvierteln. Mölzer wirkt dabei wenig visionär, vielmehr verlagert er seinen ideologischen Schrebergarten schlicht in die Zukunft.

Bei seinem Vortrag sagt er: "Es geht hier nicht um Polemik oder politisches Kleingeld." Doch in seinem Buch verurteilt er Homosexualität als bestehendes gesellschaftliches Ideal, und schon auf der ersten Seite steht der Satz: "Als einigermaßen angepasster Mensch konnte man wahrscheinlich sogar in den Horror-Diktaturen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, also im Faschismus und im Stalinismus, von viel weniger Reglementierungen eingeschränkt (...) leben als heute."

Jetzt aber steht er in seinem schwarzen Anzug am Podium und gibt sich konsensual und gemäßigt. Er sagt, er habe die Wahrheit nicht gepachtet, ja, er wünsche sich sogar Widerspruch. "2084", sagt er schließlich, "dieses Datum werde ich mit Sicherheit nicht erleben." Und da kann Mölzer wirklich keiner widersprechen. (Lukas Kapeller, derStandard.at, 15.4.2009)