In der NS-Zeit musste das Staatsarchiv viele Akten abtreten - darunter dem Reichsernährungsministerium -, wie in den Protokollbüchern vermerkt ist. 1945 wurden die Dokumente von den Russen erbeutet.

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Standard: Die Übergabe der Akten hätte schon im April 2008 stattfinden sollen. Im Jänner sagten Sie, die Akten würden "in vier bis sechs Wochen kommen". Nun haben wir April. Wann werden sie kommen?

Mikoletzky: Es stimmt: Es war vereinbart, dass die Russen das Material 2008 zurückgeben. Sie hatten es auch fertig für den Transport. Aber ich war bis obenhin eingedeckt mit der Republiksausstellung im Parlament. Ich hatte keinen Nerv für irgendetwas anderes. Ich habe daher die Rückgabe verschoben. Die Russen waren einverstanden. Und dann wollten wir die Übergabe Anfang dieses Jahres machen. Aber es gibt Baumaßnahmen, es kann kein Transporter zufahren. Daher wird die Übergabe erst im Juni erfolgen. Wir kriegen 90 Prozent aller Bestände zurück, die provenienzmäßig nach Österreich gehören: staatliche Akten, die in der NS-Zeit nach Berlin gingen, und beschlagnahmte Akten von Privatpersonen. Der Rest muss noch verhandelt werden. Das werde ich noch heuer angehen, damit wir nächstes Jahr die letzten Stücke zurückbekommen.

Standard: 90 Prozent aller Akten: Wie viel ist denn das?

Mickoletzky: Genau weiß ich das nicht. Ein größerer Lastwagen voll.

Standard: Sie haben ja wohl keinen Lkw-Führerschein.

Mikoletzky: Ich habe überhaupt keinen Führerschein.

Standard: Dann hätte der Transport ja doch schon letztes Jahr durchgeführt werden können?

Mikoletzky: Aber die Akten müssen von mir übernommen werden.

Standard: Ein Mitarbeiter hätte die Akten nicht übernehmen können?

Mikoletzky: Die Russen wollten immer nur mit mir verhandeln. Wie Sie wissen, bekommen wir ja nicht nur Bestände des Staatsarchivs zurück. Zwei österreichische Institutionen wollten mit den Russen direkt verhandeln. Und die haben gesagt: Nein, sie verhandeln nur mit mir. Ich habe die Angelegenheit auch zur Chefsache gemacht.

Standard: Eine der beiden Institutionen ist die Kultusgemeinde?

Mikoletzky: Ja. Die wollten selbst verhandeln. Daher haben nun wir zwei Kollegen von der Kultusgemeinde engagiert, die noch einiges durchgeschaut haben. Denn die Russen vermischten die Akten. Das soll aber keine Kritik sein: Die Russen haben die Akten gerettet. Boshaft, wie ich bin, sage ich: Eine andere Armee hätte ein großes Feuer gemacht - es war Winter - und sich die Hände gewärmt. Aber beim Transport nach Moskau wurde eben deutsches und österreichisches Material vermischt. Die Russen machten da keinen Unterschied: Alles ist deutschsprachig. Das muss man nun durchschauen.

Standard: Die jüdischen Aktenbestände kommen also nicht zurück?

Mikoletzky: Noch nicht.

Standard: Die Freimaurer-Akten?

Mikoletzky: Auch noch nicht. Und auch die Akten der Paneuropa-Bewegung nicht. Das kommt auf die nächste Verhandlungsagenda. Mir hat es einstweilen genügt, dass wir diese 90 Prozent zurückbekommen. Ich habe viele Jahre an diesen Verhandlungen gekiefelt.

Standard: Das heißt: Die wertvollsten Bestände bleiben in Russland.

Mikoletzky: Das kann man nicht so sagen. Für einen Archivar ist alles wertvoll. Oder meinen Sie, dass die Bestände der Kultusgemeinde wertvoller als die anderen sind?

Standard: Aufgrund der Dutzenden Handschriften ...

Mikoletzky: Sie verwechseln etwas! Die Handschriften befinden sich in der Bibliothek. Ich kann nur für die Archive reden, aber nicht über die Kunstschätze. In Russland befinden sich ja auch etliche Papyri. Das ist Sache der Nationalbibliothek. Dafür bin nicht ich zuständig. Ich bin froh, dass ich meine Sache über die Bühne kriege.

Standard: Was passiert mit den Akten der Privatpersonen?

Mikoletzky: Wir werden die Nachfahren verständigen. Und ihnen die Akten zurückgeben - ohne langes Hin und Her. Ursprünglich wollte die russische Seite, dass wir das international in den Zeitungen ausschreiben. Aber das habe ich abgelehnt. Die Zeitungen werden ohnedies darüber berichten. Wie es ja auch der Standard tut.

(Thomas Tenkler, DER STANDARD/Printausgabe, 04./05.04.2009)