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Die stärksten Allergene in Österreich sind Birkenpollen und vor allem Gräserpollen

Foto: APA/EPA/Karl-Josef Hildenbrand

Der Beifuß (Artemisia vulgaris) blüht erst zwischen August und September. Birke und Esche haben derzeit Hochsaison

Foto: Pollendatenbank PalDat

Es ist eine verflixte Sache: je schöner das Wetter, umso stärker die Pollenbelastung. Der lange Winter hat Menschen mit Pollenallergie zwar eine Schonfrist eingeräumt, doch der Countdown auf der Website des Pollenwarndienstes läuft unaufhaltsam: "Birke und Esche sind blühbereit. Noch 35 Tage bis zur Gräserblüte, in 125 Tagen blüht der Ragweed."

In Österreich sind mehr als eine Million Menschen vom "Heuschnupfen" betroffen. Bei ihnen macht sich der Pollenflug durch rinnende Nase, Niesattacken, rote, brennende und verschwollene Augen bemerkbar. Der Grund: Das Immunsystem reagiert auf harmlose Pollen irrtümlich wie auf Angreifer und versucht sie zu bekämpfen.

Die Bezeichnung "Heuschnupfen" hört Wolfgang Gstöttner, Primar an der Universitätsklinik für HNO-Krankheiten, nicht gerne, sie sei eine "Verharmlosung". Entzündungen an Augen und Nase solle man nicht "auf die leichte Schulter nehmen", sagt der Arzt. Denn bei Nichtbeachtung würden chronische Atembeschwerden und irreversible Schäden an Bronchien und Lunge drohen. Einer von drei Allergikern entwickle im Lauf seines Lebens Asthma. Eine weitere Folgeerscheinung ignorierter Pollenallergien können andere allergische Erkrankungen sein.

"Etwa zwei Drittel der Allergiker gehen erst dann zum Arzt, wenn die Beschwerden unerträglich werden", bedauert Wolfgang Gstöttner. Mit einem neuen Service will nun der Pollenwarndienst, ein seit 1976 bestehendes Angebot der HNO-Klinik an der Wiener Medizinischen Universität und der Zentralanstalt für Meteorologie, das Verständnis für die Krankheit verbessern. Ein "Pollen-Tagebuch", das online und in Papierform zur Verfügung gestellt wird, ermuntert nicht nur zur Dokumentation der Beschwerden, sondern visualisiert auch die Zusammenhänge von individuellen Symptomen, Aufenthaltsort der Betroffenen und aktuellen Pollendaten.

Laufend erfasst werden Daten aus 25 österreichischen Messstellen und jene aus 300 bis 400 Pollenfallen der Europäischen Pollendatenbank EAN. Siegfried Jäger, wissenschaftlicher Leiter des Pollenwarndiensts: "Die Ergebnisse geben den Betroffenen Aufschluss über den Grund der Verbesserung oder Verschlechterung." Durch das Novum der europäischen Vernetzung lassen sich Rückschlüsse auf Urlaub und Reisen ziehen. Patienten können Allergene festmachen, das Ausmaß der Beschwerden auf verschiedene Organe herauslesen, Therapieerfolge überprüfen. Das Tagebuch ist kostenlos, steht in fünf Sprachen zur Verfügung.

Tagebuch mit Mehrwert

Das Pollen-Tagebuch soll auch Wissenslücken der Forschung schließen, die Bestimmung von Schwellenwerten möglich machen. Jäger erhofft sich eine Antwort auf die noch offene Frage: "Wie viele Pollen pro Kubikmeter Luft sind wo, und für welchen Patiententyp nötig, um Symptome auszulösen?"

Viele fleißig dokumentierende Patientinnen und Patienten vorausgesetzt, könnte man durch die Datensammlung eine Einteilung in Allergietypen, ähnlich der Haut-UV-Typen, machen. Jäger: "Wir könnten die Qualität der Prognosen erheblich steigern, weil Vorhersagen für die einzelnen Klassen möglich werden."

Ärzten erleichtert das Tagebuch die Diagnose und macht den Therapieverlauf kontrollierbar. Gängige Formen der Therapie sind Symptomlinderung durch Antihistaminika und Nasengels, komplementärmedizinisch durch Akupunktur und Homöopathie. Ein bewährtes Hausmittel ist die Nasendusche mit Salzlösung. Auch die Speläotherapie, die Höhlentherapie, verspricht Linderung. Wer sich über zwei, drei Wochen täglich in Höhlen entspannt, kann durch die hohe Luftfeuchtigkeit wieder durchatmen.

Durch Desensibilisierung in der pollenarmen Jahreszeit versucht man, Allergiker zu immunisieren. Bei der spezifischen Immuntherapie (SIT) oder Allergieimpfung werden über einen längeren Zeitraum Pollenextrakte in steigenden Dosen gespritzt oder unter die Zunge getropft. Studien zeigen Erfolge: Bei allergischen Kindern wurde ein fast dreimal geringeres Asthmarisiko festgestellt, wenn zusätzlich zu der Verabreichung von symptomlindernden Allergiemedikamenten geimpft wird.

Die stärksten Allergene in Österreich sind Birkenpollen und vor allem Gräserpollen, deren Saison lange, von Mai bis August, dauert und die 60 Prozent der Allergiker belasten. Als besonders aggressiv gilt Ragweed, auch als Traubenkraut oder Ambrosia bekannt. Das einjährige invasive Unkraut, ursprünglich aus Nordamerika, zählt zu den pflanzlichen Einwanderern, den Neophyten. Die Ausbreitung der Pflanze, die zuerst nur im Osten und Süden vorgekommen ist, auf ganz Österreich bereite Allergologen Kopfzerbrechen, sagt die Klimatologin Christa Kummer. Eine Ursache für die Ausdehnung wärmeliebender Pflanzen sieht Kummer in der allgemeinen Klimaerwärmung.

Der Klimawandel ist, so Kummer, auch aus anderen Gründen eine der Hauptursachen für die Zunahme von Pollenallergien: Das Blühverhalten von Pflanzen ändert sich. Kummer: "Die Blüte beginnt früher, und die Menge sowie die Aggressivität der Pollen nehmen zu." Weiters komme es zu einer Verlängerung der Pollensaison im Sommer und Herbst, da Wärme die Pflanzen früher keimen und länger blühen lässt. Inzwischen sorgt das veränderte Klima für einen beinahe ganzjährig andauernden Pollenflug.

Die gute Nachricht der Allergieexperten: Die Birkenbelastung fällt heuer geringer aus, da Birken nur jedes zweite Jahr stark blühen. Die weniger erfreuliche Prognose: Ragweed/Ambrosia dürfte dieses Jahr eine besonders starke Saison haben. (Jutta Berger, DER STANDARD, Printausgabe, 06.04.2009)