Michael Kargl.

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Michael Kargl auf einer seiner zahlreichen Transportkisten: "Sicher, einige meiner Arbeiten haben mit Bildhauerei zu tun ... wenn man so möchte."

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Original oder Reproduktion: objects of desire (2005-2008) fragt nach den Bestimmungsparametern für digitale Kunst.

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Überlastung der Wahrnehmungsfähigkeit: Das Videoobjekt all you can see (2008) braucht für einen Durchlauf acht Tage.

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Michael Kargl bei der Performance on translation (2008): Ein Spiel mit dem Zufall, dem freien Willen und der Interpretation.

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Meditation über den Quellcode: webzen (2009), eine der ruhigsten und nachdenklichsten Arbeiten von Michael Kargl.

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Hellbraune, hölzerne Kisten mit der Aufschrift "this side up" und einem Pfeil, der Transporteure daran erinnern soll, dass es sich beim Inhalt dieser Behälter um zerbrechliche Ware handelt. Eigentlich recht unspektakulär: Frachtkisten, wie man sie aus jedem Museum kennt. Erstaunlich jedoch, dass der Besitzer Michael Kargl darin Internetkunst aufbewart.

"Ich habe mehrere Arbeitsräume", sagt der Künstler, der am Mozarteum Salzburg Bildhauerei studiert hat: "Die meisten davon sind in Wien. In einem lagere ich meine Kisten. In anderen, das sind teils öffentliche Räume, arbeite ich. Außerdem ist das Internet einer meiner Räume." Auch ein öffentlicher Raum, in dem der Künstler unter dem Pseudonym carlos katastrofsky zu finden ist.

Digitale Ästhetik

Beim Öffnen der Kisten kommen Objekte zum Vorschein, die auf den ersten Blick mehr mit Skuplturen als mit Netzkunst zu tun haben: objects of desire (2005-2008) zum Beispiel, ist ein Computer, dessen Innenleben Michael Kargl von seiner industriellen Blechhülle befreit hat und den er nun mit seiner Platine, den Steckteilen und Kabeln in einem transparenten Gehäuse präsentiert. Der Bildschirm, der ebenfalls nackt, ohne Abdeckung und Logo, darauf angebracht ist, spielt unaufhörlich eine Textfolge in weißer Standardtypografie ab: "i am file number 869, i am a unique piece of art, i was just created and will be gone in a few seconds, you own me now until you forget about me." heißt es da. Jede dieser Textfolgen ist numeriert, also ein "Original".

Mit diesem Objekt, das sich aus der ursprünglich rein Internet-basierten Arbeit the original (2005) entwickelt hat, fragt der Künstler nach den Bestimmungsparametern für digitale Kunst, nach ihrer Rolle im Kunstbetrieb und nach der Urheberschaft künstlerischer Arbeiten im allgemeinen - sehr poetisch. Auf die Frage, ob seine Tätigkeit der vergangenen Jahre noch mit Bildhauerei zu tun hat, antwortet er zuerst zögerlich: "Zum Teil, ja..." Dann wird er konkreter: "Eigentlich nicht 'zum Teil', sondern ja. Die Prozesse, die ich durch die Bildhauerei kennengelernt habe, kann ich im Netz anwenden. Selbst wenn ich dort nicht in einem physischen Raum arbeite und somit auch den 'klassischen Idealen' der Bildhauerei nicht gerecht werden kann."

Maßstäbe der Wahrnehmung

Ein weiteres seiner Objekte - ebenfalls in einer der Transportkisten gelagert - heißt all you can see (2008). Anders als bei objects of desire ist es kein transparenter Computer, sondern eine aus Siebdruckplatten gebaute Blackbox, auf der ein Bildschirm montiert ist. Zu sehen sind 17 Millionen unterschiedliche Farben, die linear und mit einer Rate von 25 Bildern pro Sekunde in einzelnen Frames anneinander gereiht wurden. Knapp acht Tage dauert das Video, das sich von reinem Schwarz hin zu reinem Weiß verdichtet. Die im Netz abrufbare Vorläuferarbeit zu diesem Objekt heißt opus magnum (2008) und spielt mit der Wahrnehmung der BetrachterInnen sowie mit dem Thema der Massenproduktion als einer der Knackpunkte des zeitgenössischen Kunstmarktes.

"Im Prinzip halte ich von all diesen Definitionen nicht sehr viel", sagt Michael Kargl mit Nachdruck: "Ich finde, man kann heute weder einzelne Sparten definieren, noch kann ich mich selber in einer dieser Sparten einordnen. Sicher, einige meiner Arbeiten haben mit Bildhauerei zu tun. Denkt man aber an Objekte wie all you can see so liegt die Assoziation mit Malerei nicht weit entfernt davon. objects of desire könnte man sogar als schriftstellerische Arbeit bezeichnen ..." Nach einer kurzen Gedankenpause schiebt er nach: " ... wenn man so möchte."

Ausstellungsraum

In einem seiner letzten größeren Projekte, einer Personale mit dem Titel interference in Dänemark, ging er von der Überlegung aus, wie Internet-basierte Kunst im Ausstellungsraum gezeigt werden kann. Die Präsentationsform hängt aber nicht zuletzt sehr stark von der jeweiligen Arbeit ab. "Handfeste Netzkunstwerke können nicht im Ausstellungsraum gezeigt werden", ist sich Michael Kargl sicher: "Zuhause auf der Couch, am Schreibtisch oder wo auch immer der Computer gerade steht, funktionieren solche Arbeiten am Besten", sagt er.

Neben objects of desire und all you can see wurden in Dänemark auch Digitalprints, eine Computerinstallation und Arbeiten auf Papier präsentiert, alles Kunstwerke, die ihren Ursprung im Netz haben. Die Performance "on translation" (2008), bei der Kargl ein Computerprogramm schrieb, das Text von ASCII- in Binärcode übersetzt, war ein Versuch die vielschichtigen Prozesse des Übersetzens nicht nur auf den Ausstellungsraum hin zu befragen, sondern auch in eine künstlerische Form zu bringen. "Der Zufall, der freie Wille und die Interpretation... Das sind alles Bestandteil des Übersetzungsprozesses und unmittelbar an die Person des Übersetzers gekoppelt", so der Künstler über diese recht stille Performance, bei der er mit der Transkription von Zeichensystemen spielt.

Soziale Viren

Im kommenden Mai wird der in Wien lebende Tiroler eine "Residence" in Großbritannien absolvieren. Anti-Bodies, eine in Plymouth ansässige Netzkunst-Initiative hat ihn eingeladen, vor Ort die Arbeit "vir.us.exe" (2009) zu realisieren. Zu diesem Zweck wird Michael Kargl während seines Aufenthaltes eine so genannte .exe-Datei programmieren, das ist ein ausführbares Programm für das Betriebssystem Windows, das UserInnen nach Belieben downloaden können. Was passiert, wenn man das Programm nach seiner Veröffentlichung im Frühsommer 2009 schließlich auf seinen Computern lädt, beantwortet der Künstler nicht, denn das ist Teil des Konzepts. Er verät nur so viel, dass es ihm bei dieser Arbeit in erster Linie um die teils irrationalen Ängsten von Menschen vor "Ansteckungen" (welcher Art auch immer) geht.

Auf die Frage, ob er sich als Hacker bezeichnen würde, antwortet er: "Ja. Wenn man 'hacking' als kreatives Spiel bezeichnet, was auch immer das Wort kreativ in diesem Zusammenhang bedeuten mag." Er lacht. "Im täglichen Gebrauch, wird mit einem 'hacker' jemand assoziiert, der Computerviren programmiert und damit etwas kaputt macht. Das ist eine Vorstellung, mit der ich gar nicht klar komme." Hacking hat für ihn mehr mit einer stark sozialen Konnotation zu tun, es geht darum, Systeme zu hinterfragen.

Kontemplative Spiele

Zuletzt hat Michael Kargl eine - wie er es selbst nennt - "handfeste" Netzkunstarbeit veröffentlicht. Klicken BenutzerInnen auf den Link zu webzen (2009) gelangen sie auf eine leere Seite: "Untitled Document" steht ganz oben auf der Browserleiste, kein Name, kein Inhalt, keine Gestaltung - eine Website, so simpel wie sie nur sein kann. Mittels einer Meditation über die grundlegenden Formeln des Quellcodes - "html", "head", "title", "body" - versucht sich die Seite sozusagen "selbst zu überwinden".

Auf buddhistische Denkmodelle übertragen, würde das eine Meditation über Konzepte wie "System", "Geist", "Begriff" und "Körper" bedeuten. "Durch das Ausloten der Möglichkeiten des Materials - in meinem Fall ist das der Computer - entsteht eine Art Spiel zwischen Form und Inhalt, die eine kontemplative Wirkung hervorrufen kann", erklärt Kargl abschließend: "Ich möchte thematische Überlegungen aber nicht vom Material trennen. Form und Inhalt sind nicht teilbar. Wo genau die Grenze zwischen diesen beiden Einheiten liegt, das ist die Frage." Eine schöne Frage - wenn auch nicht beantwortbar. (fair)