Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte
von Thomas Rottenberg

Es war am Wochenende. Und N. meinte, er sei jetzt überrascht. Denn dass wir bei „"so was" mitmachen würden, hätte er nicht geglaubt. Aber, lachte er, man lerne ja nie aus - und zu wissen, dass S. und ich hier gewesen seien, wäre gutes Material. Erpressermaterial. Denn, zitierte N. den verstorbenen Anchorman, die Rache des Journalisten sei das Archiv. Und sollten S. oder ich ihn, den Eventmacher, je wieder mit nervigen Fragen quälen ... und so weiter.

S. und ich waren verdutzt: Wovon N. spräche? Und wieso er sich überlegen fühle? Schließlich sei er auch hier. Also gelte in der seltsamen Bar außerhalb der hippen Zone das "Babylonprinzip". N. schaute fragend: Dass man nie höre, wer mit wem im Nobelpuff abgehangen sei, erklärte ich, läge daran, dass jeder, der einen anderen dort sieht, selbst dort sei.

Kordel

Doch N. schüttelte den Kopf und zeigte auf eine Kordel: Er sei hinter der Kordel - wir säßen an der Bar. Die sei eindeutig Nicht-Kordel- Zone. Und während hinter der Kordel der Bereich einer privaten Geburtstagsfeier begänne, sei das davor eben "der andere Event." Und, grinste N., es sei bezeichnend, dass wir uns jetzt blöd stellten. Aber wenn unser Speeddatingevent vorbei sei, meinte er, könnten wir ja hinter die Kordel kommen. Das Geburtstagskind würden wir kennen.

S. und ich waren baff. Speeddating? Wir? In die Bar hatten uns Zufall, Durst und Regen getrieben. Die Frage des Kellners, ob wir "zum Event" gehörten, hatten wir mit "Nein" beantwortet - und waren an der Bar platziert worden. Die Kordel hatten wir gesehen. Aber dass im Bereich davor, in den weißen Lounge-Chairs, auch ein Event stattfand, sahen wir erst jetzt.

Aufgebrezelt

Obwohl: Eigentlich sahen wir nichts. An den Couchtischchen saßen Pärchen. Nur wenn man genau hinsah, erkannte man, dass sowohl Männer als auch Frauen für den Ort, den Tag und die Uhrzeit ein bisserl zu aufgebrezelt waren. Dass da im Entreebereich zwei smarte Herren und eine noch smartere Dame mit Liste, Block Formularen und Kugelschreibern standen, hätten wir fast übersehen. Genauso wie die Giveawayschachtel am Boden.

Vielleicht, meinte S., hätten wir die Smarties am Stehtisch später noch bemerkt - aber bestimmt geglaubt, dass das der ungünstig platzierte Check-In des Kordelevents war. Aber Speeddating? Never.

Vielleicht, meinte S., lag das daran, dass wir Speeddating nur aus US- Serien kannten: Schachtischchen ohne Schachbrett mit Schachuhr - und (je nach Drehbuch) unendlich schicke, eloquente Supermodels - oder unendlich zähe, schlechte Gespräche von Menschen mit schlechter Haut, schlechten Frisuren und schlechten Pullovern. Dafür mit Brille. Aber immer mit Gong. Oder Glocke: Beim Bimmeln wuselte alles einen Platz weiter.

Platzwechsel

Hier aber, in der Bar knapp außerhalb der schicken Zone, war davon nichts zu bemerken: Ab und zu stand jemand auf. Nur wenn man genau hinsah, merkte man, dass er oder sie dann woanders wieder Platz nahm. Meistens lag dazwischen aber ein Gang aufs Klo oder zum Kellner an die Bar.

Supermodels oder Superloser waren die rund 30 Leute allesamt nicht. Durchschnittstypen. Leute, wie man sie überall sieht. Die meisten um die Dreißig. Eher älter. Deutlich mehr Männer als Frauen. Niemand wirkte besonders engagiert. Niemand besonders gelangweilt. Niemand schien auf Druck oder unter Zeitdruck eine Botschaft platzieren zu wollen. Niemandes Körpersprache verriet gesteigerte Erwartungs- oder Abwehrhaltung.

Gaffen

Und nicht einmal als S. und ich uns dann mit dem Rücken zur Bar hinsetzten und ganz unverhohlen den Loungebereich scannten (die Smarties und die Kellner taten es ja auch so) konnten wir auch nur einen Funken von Flirtstimmung oder gar erotisches Knistern entdecken. Das Einzige, was uns auffiel, war, dass die meisten Speeddater eben zu schicke Kleidung und zu aggressives Make-up für die mittelschicke Bar trugen.

Aber auch das fiel nur auf, weil sich die meisten in ihren Anzügen und Abendkleidern so bewegten, als wären sie nicht 100 Prozent sicher, im richtigen Outfit am richtigen Ort zu sein: Wenn man wirklich genau hinsah, wirkte vieles ein bisserl steif und ziemlich gewollt. Aber ohne die Warnung "Achtung, Speeddating" wäre uns das auch nicht aufgefallen.

Nichtgespräche

S. und ich sahen lange zu. Etwa zwei Stunden. Nach und nach dünnte die Gruppe aus. Zuerst gingen vor allem Frauen. Einzeln. Dann bröckelten auch die Männer weg. Zum Schluss saßen nur noch ein paar Pärchen - die Unattraktivsten, stellten wir aus unserer Spannerposition an der Bar gemein fest - in den Loungesesseln und klammerten sich an Gesprächsfetzen, die allem Anschein nach immer ausgefranster wurden: Oft saßen Paare minutenlang wortlos da, sahen auf ihre Drinks, zupften an ihren Kleidern oder nickten viel-/nichtssagend. Und gingen nach einem höflichen Shakehands zuerst getrennter Wege und dann alleine aus dem Lokal.

S. seufzte, stand auf und zahlte. Hinter der Kordel stand N. Er wartete auf uns: Er wolle nach Haus. Ob wir ihn mitnehmen könnten. Nur aus dem Lokal und um die Ecke. Alleine hinaus zu gehen, sagte er, brächte nämlich schlechtes Karma: "Das tun nur Speeddater - und so verzweifelt, da mitmachen zu müssen, will ich nie sein." (Thomas Rottenberg/derStandard.at, 30.3.2009)