Sechs Jahrhunderte lang war die Piazza Banchi Handels- und somit auch Stadtzentrum von Genua. Heute stehen auf dem Büchermarkt vor der Kirche San Pietro Geschichten aus den Caruggi hoch im Kurs.

Foto: Agenzia Regionale in Liguria

Verdammt, es wird eng für Bacci Pagano! Da kann der Privatdetektiv die amarantrote Vespa 200 PX noch so virtuos am Gasgriff würgen. Da mag er die kleinen Treppchen zur Via Luccoli in der Ersten nehmen und vor San Donato elegant die Kurve kratzen. Nutzt alles nichts. Denn im Moment kleben ihm trotzdem die Verfolger am Hinterrad.

Designerlokale wie das Caffè Zeneise haben bereits ordentlich aufgeholt: Im aufklarenden Zwielicht der Altstadt sind sie drauf und dran, Genuas letzte düstere Ecken zu versauen. Das gläserne Klirren der Cocktails ist kaum besser, killt es doch die intime Verschwiegenheit, die gute Informanten brauchen. Und dann sind dem Detektiv auch noch die Krimi-Rezensenten auf den Fersen. Das heißt: Eigentlich betrifft es den Boss, Paganos Schöpfer, den Genueser Autor Bruno Morchio.

Auch ihn zerrt man ans Licht. Und siehe da: Die Gemeinplätze, die seine sechs Bacci-Pagano-Romane durchziehen, aber eben auch die von Lifestyle und Revitalisierung perforierten Winkel der Altstadt haben Morchio zumindest in Italien zum vielgelesenen Krimiautor gemacht. Wohl zu keinem, der das Genre des "Mittelmeer-Krimis" so souverän prägen dürfte wie Jean-Claude Izzo oder Manuel Vázquez Montalbán ihre literarischen Reviere Marseille und Barcelona. Immerhin: Genua ist ein erlesener Ort, sein Pflaster dicht beschrieben. Als roter Faden im Labyrinth der Caruggi, wie die engen Gassen von Europas größter mittelalterlicher Altstadt heißen, taugt die Verfolgung des Detektivs Bacci Pagano jedenfalls. Dass manche Orte fernab der touristischen Fährten liegen, die Industriegebiete im Osten in den Fokus gerückt werden, oder Morchios Schurken im aktuellen Fall Wölfe in Genua eben diese wilden Tiere als "Mordwaffe" im wunderschönene Parco del Peralto am Stadtrand benutzen - es sind weitere Facetten der einmal goldenen, dann wieder roten oder zwischendurch bloß schmutzigen Perle am Stiefelüberwurf.

Caruggi ohne Mitteltöne

Wir empfehlen einen der kommenden wärmeren Tage, um mehr darüber in Erfahrung zu bringen - und vielleicht eine schwarz getönte Sonnenbrille. Sie ist ideal, um neben dem plötzlich aufgetauchten Schreckgespenst "Bustouristen" auch dem Horror aller Fotografen Paroli zu bieten: dem Kampf um Mitteltöne im harten Kontrast der dunklen Gassenstreifen und einer diffus von oben einsickernden Helligkeit. Mitteltöne - genau dagegen sperrten sich die Caruggi die längste Zeit erfolgreich, sie setzten anstelle von Nivellierung lieber auf das Prinzip Durchdringung. Aus der ungleichen Nachbarschaft, dem Nebeneinander der Prostituierten und Professoren, der rauen Reibung der Milieus - daraus schöpft schließlich Autor Morchio.

Komponiert wird der Genua-Krimi auch mit den olfaktorischen Noten, die Liguriens alte Dame umwehen. Denn die Gerüche am Boden handtuchbreiter Gässchen, wo sich Körbe von Sardinen im gelben Kegel der Kunstlichtlampen sonnen, sind ein starker Leitfaden. Und plötzlich scheint alles klar: Wer hier lebt, kämpft vermutlich um Licht und Raum - und klebt zugleich tief in der Kittelfalte. Soll sich also ruhig eine weitere Gestalt aus dem Halbschatten lösen. Es ist Bruno Morchio selbst, der hier lebende Autor und Psychotherapeut.

"Die Altstadt von Genua", wollen wir ihn zitieren, "ist ein dichtes Spinnennetz miteinander verwobener Gassen. Je tiefer man eindringt, desto finsterer, feuchter und muffiger wird es. Die Vergangenheit ist hier geradezu körperlich zu spüren, man kann sie riechen und schmecken." "Verdammter Seelendoktor" würde seine Kunstfigur Bacci Pagano ihn dann kommentieren. "Sag doch einfach, wie herrlich es hier stinkt!"

Schillerndes Schiefermeer

Starkes Aroma und morbider Zerfall. Finstere Häuserecken und schillerndes Amalgam. Blickt man von den diversen Aussichtspunkten der zerklüfteten Genueser Topografie, etwa vom Stadtteil Sarzano, auf das aufgeraute Schiefermeer, dann ist das Konzept klar: Wie Inseln stehen die Paläste und uralten Häuserblocks im Zentrum einer Stadt, die ihre Geheimnisse noch immer im vierzig Kilometer langen Gassen-Labyrinth verstecken mag. In einem ziehen Pagano, die "Caruggi-Ratte", und Morchio, der Autor, da an einem Strang: Dass das Randständige bislang noch nicht an die Peripherie gedrängt wurde - jenes urbane Phänomen, an dem die meisten Städte kränkeln -, zählt nicht zuletzt zum Verdienst lokaler Politik. Die Hinweise auf Seitensprünge und Schmiergelder, die den Detektiv umtreiben, mögen in Morchios Krimis mit Vorliebe in die Salons des alten Geldadels führen, der bis heute die Dachterrassen über der Gosse bezieht. Spannender ist trotzdem die Spur, die zurück in Genuas Geschichte führt - und dabei vom Erbe der ehemaligen Finanzmetropole der Welt erzählt.

Das Gedränge der Paläste, die sich auf den ersten Blick oft kaum erkennbar unter die regenschwarzen Fassaden mischen, kommt ja nicht von ungefähr. Palazzo Rosso, Palazzo Bianco, Palazzo Tursi heißen die Bauten, deren bunte Wände und Decken weite Fenster in gemalte Zaubergärten aufstoßen. Trompe-l'oeil-Motive sind eine für Genua typische Angelegenheit - und zugleich frühe Exile inmitten einer durch die beengte Lage zwischen Meer und Gebirge motivierten Architektur. Echte und gemalte Säulen gehen ineinander über, und Gemälde verraten, wie das Leben in den leer gewordenen Salons einst im Detail aussah: Prächtige Blumengebinde, silbrig glänzende Fischflossen, geputzte Schoßhündchen tummeln sich zwischen den Goldrahmen. Es sind Räume, die vom Schein erzählen - was hier stets auch Geldschein meint. Schließlich waren es Genueser Großkaufleute, die mit der Banco di San Giorgio eines der ältesten Finanzinstitute der Welt erfanden. Und als Draufgabe auch gleich das Versicherungswesen, das den Detektiv Bacci Pagano noch in Wölfe in Genua beschäftigt.

Dank Seidenstraßen-Rendite und als Business-Partner von Byzanz schuf sich die Seerepublik früh eine gute Basis. Doch vor allem segelte Genua in einem Meer aus Schuldscheinen zum Erfolg. Denn alle standen sie in der Kreide der reichen Familien: Könige, Kreuzfahrer, Kriegsherren. Auch der endgültige Bankrott des spanischen Königshauses, der die genuesischen Gläubiger eher halblustig erwischte, konnte daran nichts ändern. Bis zum 16. Jahrhundert machte die Welt der Optionen Genua zur Finanzmetropole der westlichen Welt, zum internationalen Kunstmekka sowieso. Künstler aus Flandern ließen die Adeligen kommen, Rubens etwa war von der Pracht der Via-Garibaldi-Paläste derart begeistert, dass er sie in Form eines detaillierten Skizzenbandes festhielt - für die Nachwelt und angeblich auch als Vorlage für die provinziellen Pfefferbarone seiner flandrischen Heimat.

Der Duft der Pansoti-Teigtaschen in den einfachen Hafenlokalen und das sonore Dröhnen der hochgestelzten Hafenautobahn "Sopraelevata", die das Prinzip Riviera hier als brachial in den Himmel gehängtes Stück Beton weiterführt - dafür muss heute wohl ebenso Platz sein. Kommt man aber vom Hafen, den die Genueser, wenn schon nicht als Fremdkörper, dann doch als Antithese zu ihrer Stadt betrachten - als offenes Tor zur Welt nämlich, das die Intimität der Caruggi nur noch stärker unterstreicht -, dann wirkt Bacci Paganos Revier heute durchaus intakt. Doch auch die behutsame Revitalisierung, die Genuas Altstadt im Zuge des Columbus-Jubiläums und später im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt einem Fassaden-Lifting unterzog, wirkt nach. Sie war nie als Anleitung zum völligen Um- oder gar Neubau gedacht, das war damals schon klar.

Wie eine Auster ging die von unzähligen Wäscheleinen zusammengehaltene Altstadt da auf: hier ein kleiner Spalt in der Patina der Jahrhunderte, aus der vielleicht ein paar Töne Fabrizio De André ertönen - jenes lokalen Sängers, dem der Bewunderer Gianni Tassio in der Via del Campo ein kleines Museum eingerichtet hat. Da eine Ritze, in die endlich Licht vordringt, um neben Mülltonnen und hoch gehängten Madonnen, eben auch das prächtige Schimmern von goldenen Portalen zu erspähen. Nur mehr ein leiser Hauch von schummrigen Gassen für Ganoven ist dem Gewirr der Caruggi geblieben. Viel zu wenig, um Menschen wie Bacci Pagano und Krimi-Leser ernsthaft zu beschäftigen. Aber genug Nervenkitzel, um das zu finden, was jede echte Stadt braucht: atmosphärische Verdichtung, die vom Widerspruch lebt. (Robert Haidinger/DER STANDARD/Printausgabe/28./29.3.2009)