Humor als Überlebensmittel in der Arbeitswüste. Das überaus rotzige Konzept für die Werbeagentur Havas Group schockierte die Auftraggeber. "Jetzt sind sie happy."

Foto: Paul Raftery/View Pictures

Der Mann ist ein Charmebolzen. Vor allem aber ist er der lachende Kabarettist unter den grünen Vordenkern dieser Welt. Kein anderer Architekt wagt sich mit derart viel Humor und Verve an ökologische Bauaufgaben heran wie der in Paris ansässige Édouard François. Erst kürzlich stellte er im Centre Pompidou seine 500 Seiten dicke Architekturbibel vor, die er - als wäre er nicht schon verrückt genug - ausgerechnet seiner längst verstorbenen Großmutter gewidmet hat. Eine Provokation? "Aber nein, meine Oma war großartig. Ich habe sie geliebt."

Obwohl François bereits einige hübsche Lenze auf dem Buckel hat, nahm sein Bekanntheitsgrad erst in den letzten Jahren zu. Was war davor? "Ach, das war eine schwarze Zeit. Als ich jung war, habe ich ein Haus nach dem anderen gebaut. Aber irgendwann hat mir das keinen Spaß mehr gemacht."

Vor einigen Jahren ist François aus seiner intellektuellen Versenkung wiederauferstanden. Seine Gebäude gleichen überdimensionalen Blumentöpfen, an den Fassaden räkeln sich Blütenzauber und Bambuswald. "Ich will das ökologische Bauen von Grund auf revolutionieren", sagt er. "Schließlich bin ich Künstler, mein Medium ist die Architektur."

Eines seiner jüngsten Projekte ist die Büroeinrichtung für die französische Werbeagentur Havas Group in Suresnes am Rande von Paris. Statt sich dem hochpreisigen Unternehmen mit Samt und Leder anzubiedern, schockierte Édouard François seine Auftraggeber mit einem rotzigen Konzept. Die Wände wurden mit einer Tapete in Ziegeloptik zugekleistert, für die Tische wurde billigstes Schiffssperrholz zusammengeschraubt. "Als ich der Havas Group präsentiert habe, was ich vorhabe, haben die mich angesehen wie einen entflohenen Geisteskranken" , erinnert sich François, "aber jetzt gefällt es ihnen."

Der Komfort der Möbel ist auf die technischen Möglichkeiten einer handelsüblichen Stichsäge reduziert, architektonische Gadgets sucht man vergeblich. Die Mitarbeiter sitzen in kreisrund ausgeschnittenen Tischlöchern. Für die nötige Distanz sorgen Kakteen, die in terrakottafarbenen Blumentöpfen in die ebene Arbeitswüste eingelassen sind. "Wenn ich schon keine Trennwände mache, greife ich eben zur optischen Abschreckung", erklärt der Architekt, "man muss halt aufpassen, wo man sich anlehnt." Von den Werbern könne man dieses Minimum an Grips durchaus erwarten. Die Welt des Marketings sei ohnehin eine herausfordernde.

Jeder andere Architekt wäre mit einem derartigen Konzept hochkant aus dem Besprechungszimmer geflogen. Doch François blieb, kassierte sein Honorar und setzte seine Vision eines einfachen, aber bestechend effizienten Büros um. "Ich bin seit 25 Jahren in diesem Job. Die Grundlage für dieses Glück habe ich mir hart erarbeitet. Auch ich bin nicht schon als Édouard François auf die Welt gekommen."

Doch nicht nur zugunsten fragwürdiger Büroeinrichtungen setzt der heute 52-Jährige seine seltene Gabe ein, auch das eine oder andere unorthodoxe Wohnbauprojekt konnte er bereits aus der Taufe heben. Das übergeordnete Motto lautet: Nachhaltigkeit mit Schmunzelfaktor.

Am östlichen Stadtrand der Seine-Metropole stellte François vor einigen Wochen ein ökologisches Reihenhausprojekt für den Bauträger Paris Habitat fertig. Die einzelnen Gebäude wirken wie Versatzstücke aus der Pariser Innenstadt. "Ich habe an die klassischen Faubourg-Villen mit ihren üppigen Obstgärten davor gedacht", sagt er. Der ökologische Aspekt generiert sich nicht nur aus den niedrigen Energiekosten, sondern auch aus den verwendeten

Materialien.

Vor den Fassaden wuchert eine gewöhnungsbedürftige Konstruktion aus Lärchenbalken. François: "Das mag ja heute noch hässlich ausschauen, aber in ein paar Jahren wird sich die Wohnsiedlung in einen wunderbaren Garten Eden aus Glyzinien, Bananenstauden und Weinreben verwandelt haben. Außerdem kann man an die Holzkonstruktion jederzeit einen Hasenstall anschrauben."

Die Lust am Zufallsprinzip

Lebendige Architektur mitsamt angeknabbertem Blätterzeug - das sei doch genau das, was jeder will und kaum jemand bekommt, meint François. "Und warum? Ganz einfach, weil Architekten viel zu eitel sind, um ihre Häuser dem Zufall der Natur und dem Willen der Bewohner zu überlassen."

Zu welch wunderbaren Resultaten der freie Lauf des Schicksals führen kann, beweisen die bisher realisierten Wohnhäuser in Paris, Louvier und Montpellier. Längst sind die Wohnungen hinter Efeu und Weinlaub verschwunden. Aus den steinernen Gabionenkäfigen an der Fassade wuchern nützliche Pflänzchen und wohlduftende Kräuter.

Das radikalste Projekt aus der Feder des Enfant terrible soll nun in Champigny entstehen. Dabei vermengt François unterschiedliche Wohnformen - vom bourgeoisen Stadtpalais übers Reihenhaus bis hin zum biederen Einfamilienhaus - zu einem wilden Cluster. Während sich der Bürgermeister bereits die ersten Schweißperlen von der Stirn wischt, untermauert der Architekt seinen Entwurf mit besten Argumenten: "Nein, das ist doch keine Karikatur! Das ist eine urbane Collage, die die verschiedenen Wohnvorlieben der Menschen berücksichtigt."

Als wäre das noch nicht genug gestalterisches Chaos, sind die Satteldächer, Mansarden und Fassaden rundum in ein Kleid aus Fotovoltaikzellen gehüllt. Vorgärten auf allen möglichen Stockwerken und Bäume auf dem Dach dürfen auch hier nicht fehlen. Baubeginn ist noch heuer, Ende 2011 soll das Projekt fertig sein.

"Energie- und Ressourcenschonung werden in ein paar Jahren bereits die größte Selbstverständlichkeit sein" , sagt Édouard François, "man wird Steine nach Ihnen werfen, wenn Sie es dann noch wagen, ein unökologisches Projekt hochzuziehen!" Umso wichtiger sei die Komponente Humor. "Nachhaltige Architektur mit todernster Miene ist out. An ihre Stelle tritt das Bauen mit einem Grinsen." (Wojciech Czaja, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 28./29.03.2009)