New York - Wenn junge Frauen mit Musikinstrumenten im berüchtigten Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ankamen, hatten sie eine Chance, die erste Selektion zu überleben. Etliche von ihnen wurden in das sogenannte Mädchenorchester von Auschwitz eingewiesen, das von Alma Rosé, einer Nichte des Komponisten Gustav Mahler, geleitet wurde. Ein New Yorker Musikverein hat nun ein Ensemble gebildet, das diesem historischen Orchester gleicht. Damit will Ars Choralis die Frauen von Auschwitz ehren und die Erinnerung an ihr Schicksal wachrufen.

"Musik in Zeiten der Verzweiflung: Zur Erinnerung an das Mädchenorchester von Auschwitz" lautet der Titel der Konzertreihe, mit der Ars Choralis jetzt auf Tournee gehen will. Die Uraufführung ist für kommenden Samstag in der Kathedrale St. John the Divine im New Yorker Stadtteil Manhattan geplant. Der Ort wurde bewusst gewählt, weil der Bischof dieser Episkopalkirche schon in den 30er Jahren gegen die Verfolgung der JüdInnen im nationalsozialistischen Deutschland protestiert hat.

Konzerte in Berlin und Ravensbrück

Am 17. April wird Ars Choralis dann in der Heilig-Kreuz Kirche in Berlin-Kreuzberg auftreten. Diese protestantische Kirche, die im Zweiten Weltkrieg zerstört und in den 50er Jahren in vereinfachter Form wieder aufgebaut wurde, bietet nach Ansicht des Ensembles eine weitere historisch bedeutsame Kulisse für ein Konzert zu Ehren des Mädchenorchesters von Auschwitz. Am 18. und 19. April wird Ars Choralis dann im ehemaligen Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück an den Feierlichkeiten zur Befreiung im Jahre 1945 teilnehmen.

Die Musikerinnen des New Yorker Ensembles wollen bei ihren Aufführungen weiße Blusen und lila Halstücher tragen wie die jungen Frauen, die damals zum Vergnügen der SS-Aufseher Symphonien von Beethoven, Arien von Puccini oder Walzer von Strauß spielen mussten. Oft mussten sie auch mit Marschmusik die ausgemergelten Häftlinge in den Arbeitskolonnen antreiben. "Mit Tränen in den Augen spielten wir. Wir hätten uns nicht dagegen wehren können, denn hinter uns standen die SS-Schergen mit ihren Gewehren", zitiert Alice Radosh von Ars Choralis die damalige Akkordeonspielerin Esther Bejarano, die das Konzentrationslager überlebte und heute in Hamburg wohnt.

Tod nach Mengele-Behandlung

Der Geigerin Alma Rosé war dies nicht vergönnt. Sie starb im April 1944 unter bis heute ungeklärten Umständen an einer Fiebererkrankung, nachdem sie von dem berüchtigten KZ-Arzt Josef Mengele behandelt worden war. Die grausamen Bedingungen, denen die Musikerinnen ausgesetzt waren, sind sehr eindringlich beschrieben im Buch der Überlebenden Fania Fénelon mit dem Titel "Das Mädchenorchester in Auschwitz". Dieses wurde mit Vanessa Redgrave in der Hauptrolle auch verfilmt.

Griechischer Chor

Es war ein "Spiel um Zeit", wie auch der Titel des US-Films mit Redgrave aus dem Jahre 1980 lautet - eine Chance, Zeit zu gewinnen und zu überleben. Fénelon berichtet über Schuldgefühle bei manchen Orchester-Mitgliedern, weil sie sich angesichts ihrer Unterhaltung der Henker fast schon selber wie Henker vorkamen. Das gesamte Ausmaß dieser menschlichen Tragödie will Ars Choralis von einer Art "griechischen Chor" aus 48 Stimmen zum Ausdruck bringen lassen - auch wenn es beim damaligen Mädchenorchester keinen Chor gab.

Auftreten werden Musikerinnen für Violine, Cello, Querflöte und Blockflöte sowie Mandoline, Akkordeon und Schlaginstrumente. Gespielt werden Stücke von Beethoven und Puccini sowie Mendelssohn und Ligeti. Dazwischen sollen immer wieder Auszüge aus den Memoiren der damaligen Orchestermitglieder verlesen werden. Ebenso zum Programm gehört ein jiddisches Lied und Ben Steinbergs Friedensgebet "Schalom Rav". (AP)