Michael Scheidl, Chef von Netzzeit: "Oper ist reizvoll, weil es die künstlichste und auch komplexeste Kunstform ist."

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Ein Gespräch mit dem "Netzzeit" -Leiter Michael Scheidl über die freie Opernszene und neue Festivalträume.

Wien – Das war ein bisschen ungewöhnlich – unlängst an der Wiener Volksoper. Da gab es heftigen Applaus für Ernst Kreneks "Kehraus um St. Stephan", jedoch keine Spur vom Regisseur, um sich seinen verdienten Teil vom Applauskuchen abzuholen. Eine Protestgeste von Michael Scheidl war das nicht. Er war nur in Luzern, wo am selben Abend eine von ihm inszenierte Oper, "Die grosse Bäckereiattacke", Uraufführung hatte. "Es gab da hernach schon ein paar Bemerkungen zu meinem Fernbleiben. Aber man überlegt an der Volksoper ernsthaft für 2010 eine Wiederaufnahme der Krenek-Produktion. Also wird das nicht so schlimm gewesen sein, dass ich nicht da war."

Einer eigenen Premiere fernbleiben: Das klingt alles nach guter Auftragslage, internationaler Karriere – was auch nicht ganz falsch ist. Für 2010 erarbeitet Scheidl etwa im Auftrag des Ex-Intendanten der Salzburger Festspiele, Peter Ruzicka, eine "Opera Amazonia" (für die renommierte Münchener Biennale). Doch international hin, Auftragslage her: Den Hauptteil seiner Zeit beansprucht das Projekt Netzzeit, eine Wiener Musiktheatergruppe, die Scheidl mit seiner Frau Nora nun auch schon vor 25 Jahren gegründet hat.

Die Oper im Hotel

Man begann damals mit einer musikdramatischen Version von "Der Papalagi", also mit Reden des Häuptlings Tuiavii aus Tiavea, Samoa. Aufführungen gab es im Amerlingbeisl, in der VHS Ottakring, aber auch in der psychiatrischen Anstalt der Baumgartner Höhe. Bis heute hat Netzzeit bewusst kein eigenes Haus, denn "wir wollen keine Immobilien besitzen, das Projekt muss mobil bleiben". So gab es auch schon Aufführungen in Hotels und auf Finanzämtern – "wir wollten mitunter sehen, wie klein man Oper machen kann" , scherzt Scheidl.

Für einen Regisseur, der in seiner Frühphase als Schauspieler viel in Deutschland tätig war und als einer, den man vor ein paar Jahren auch im "Bullen von Tölz" entdecken hätte können, war die Vorliebe für Oper nicht unbedingt naheliegend. Zudem war das Projekt Netzzeit recht vage als "Verein zur Förderung interdisziplinärer Kommunikation auf kultureller Ebene" definiert worden. Interessen gehen eben ihre sonderbaren Wege, mittlerweile kann sie Scheidl auch deuten: "Oper ist reizvoll, weil es die künstlichste und gleichzeitig die komplexeste Theaterform ist. Es ist interessant, sich an ihrer strengen Struktur zu reiben."

Nun ist die Fixierung auf Oper aber auch nicht total. Eines der erfolgreichsten Projekte von Netzzeit war schließlich Symposion, womit die Einladung ans Publikum gemeint war, sich einen ausgedehnten Abend lang moderner Musik auszusetzen. Und sich dabei heftig, aber langsam und stilvoll zu betrinken. Selbst Peter Ruzicka ließ es sich nicht nehmen, mit diesem vom Klangforum Wien musikalisch umgesetzten Projekt seine Salzburg-Ära zu beschließen.

Keine toten Komponisten

Geht es um Oper, ist man bei Netzzeit jedoch stur: "Es geht bei uns um Zeitgenossen, tote Komponisten haben keine Chance; nicht alles, was 20. Jahrhundert ist, ist auch schon zeitgenössisch. Kreneks Kehraus ist so ein Fall. Das wäre für Netzzeit nicht infrage gekommen." Was in den nächsten Jahren infrage kommt, wird sich weisen. Netzzeit hat einen Vierjahresvertrag, "eigentlich sind es viereinhalb Jahre und 1,8 Millionen Euro" ; noch zwei "Out of Control" -Festivals sind damit umzusetzen.

In etwa zwei Jahren könnten die Dinge dann allerdings eine neue Wendung nehmen. "Ein Traum wäre, ein Musiktheaterfestival wie die Münchner Biennale auch in Wien zu machen. Neue Werke würden vom ersten Augenblick an begleitet. Und Wiederaufführungen wären gesichert. Wie es für mich weitergeht, hängt auch davon ab, ob reizvolle Dinge möglich sind. Es kann sein, dass wir versuchen, das Unternehmen Netzzeit abzugeben – etwa durch eine öffentliche Ausschreibung. So etwas wäre neu. Vielleicht will das ja jemand haben." Vorerst geht es aber darum, das aktuelle "Out of Control" -Festival zu finalisieren. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD/Printausgabe, 24.03.2009)