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Sigurdsson: "Im Fußball kann ein Verteidigerfehler, eine Standardsituation entscheidend sein. Im Handball kriegst du immer das heraus, was du hineingebracht hast"

Foto: AP/ Punz

Standard: Die Handball-Heim-EM im Jänner 2010 steigt eineinhalb Jahre nach der Fußball-Heim-EM. Haben Sie die EURO verfolgt, können Sie Ihre Lehren ziehen, in positiver oder negativer Hinsicht?
Sigurdsson: Gegenfrage: Wie lange hat es im ersten Spiel gedauert, bis Österreichs Fußballer ein Gegentor bekommen haben?

Standard: Der kroatische Elfmeter nach dem Aufhauser-Foul? Das war in der vierten Spielminute, sozusagen Handball-Dimension.
Sigurdsson: Eine Lehre daraus wäre, dass man auf keinen Fall übermotiviert zur Sache gehen soll. Man muss konzentriert sein, aber nicht zu euphorisch.

Standard: Im Samsung-Cup in der Stadthalle gab's zwei Niederlagen und einen Sieg, zuvor hatte das Team in fünf Spielen viermal gewonnen. Wie zufrieden sind Sie mit der EM-Vorbereitung?
Sigurdsson: Wir gehen wohl etwas besser vorbereitet als unsere Gegner in die Testspiele. Aber es sind sehr starke Gegner, ich habe sie ganz bewusst ausgesucht, und ich habe auch alle Gegner bekommen, die ich wollte. Da ist auch der Verband eine große Hilfe, ich habe auf meine Wünsche und Bitten noch kein einziges Nein gehört.

Standard: Noch ein Vergleich. Im Fußball wird der Wert von Testspielen infrage gestellt. Tatsächlich hat man oft den Eindruck, dass sich Fußballer in einem Test vor allem nicht verletzen wollen.
Sigurdsson: Das ist im Handball anders. Es wird immer volle Pulle gespielt. Und bei den vielen Zweikämpfen ist die Verletzungsgefahr sogar größer, wenn man sich schonen will und nicht mit ganzem Einsatz hineingeht. In unserem Team kommt der interne Konkurrenzkampf dazu. Die Spieler haben nicht mehr viele Möglichkeiten, sich zu zeigen. Jeder will bei der Heim-EM dabei sein, aber nur 24 kommen in den ersten Kader, der dann noch reduziert wird.


Standard: Und wie viele Spieler streiten um die 24 Plätze?
Sigurdsson: Jeder österreichische Handballer kommt fürs Team infrage. Zum Beispiel hab ich Gregor Günther einberufen, der hatte eigentlich letztes Jahr schon aufgehört, wurde aber von Bregenz reaktiviert. Ich suche Leute, die in mein Konzept passen.

Standard: Wie würden Sie dieses Konzept beschreiben?
Sigurdsson: Ich habe mir unser Spiel aus der Abwehr heraus überlegt. Das System ist daran angelehnt, wie wir früher in Bregenz gespielt haben, wo ich Spieler und Spielertrainer war. Ich will aber nicht nur wie in Bregenz mit einer 6-0-Deckung, sondern auch mit einer 5-1-Deckung spielen und den Gegner also im Aufbau früher stören. In der Offensive sind im Prinzip dieselben Leute im Einsatz, es wird vielleicht einen Wechsel geben, mehr nicht.

Standard: Wie stark orientieren Sie sich an Ihrer Heimat Island und am sehr erfolgreichen isländischen Handball?
Sigurdsson: Ich will das, was ich im isländischen Team erfahren habe, den Jungs weitergeben. Island ist ein sehr kleines Land, aber im Handball gibt es Leidenschaft ohne Ende, einen unbändigen Willen und hundertprozentigen Einsatz. Die Isländer waren überraschend Olympiazweiter, weil sie ihrem Konzept völlig vertraut und es durchgezogen haben. Und zuletzt haben sie in der EM-Quali stark ersatzgeschwächt in Mazedonien gewonnen, das ist die vielleicht schwierigste Auswärtspartie, die man sich vorstellen kann.

Standard: Hat ein Außenseiter im Handball größere Chancen auf eine Überraschung als ein Außenseiter im Fußball?
Sigurdsson: Das glaube ich nicht. Eher umgekehrt. Ich hab selbst lange Fußball gespielt, noch im U-17-Nationalteam. Im Fußball kann ein Verteidigerfehler, eine Standardsituation entscheidend sein. Im Handball kriegst du immer das heraus, was du hineingebracht hast. Im Normalfall ist Österreich sieben Tore schlechter als eine Top-Nation. Wenn's optimal läuft, sind wir auf Augenhöhe. Aber wenn's einmal schlecht läuft, kann der Unterschied auch fünfzehn Tore oder mehr ausmachen.

Standard: Im Juni wird in Wien die EM ausgelost. Ohne dass Sie also die Gegner kennen - wie wird Österreichs EM-Ziel lauten?
Sigurdsson: Für uns ist das Turnier auf den Kopf gestellt. Das erste Spiel ist unser Finale. Ich möchte dieses Finale gewinnen. Und wenn ich das schaffe, dann will ich das zweite Spiel gewinnen, das ist unser zweites Finale. Es geht immer nur um das nächste Spiel. Darauf muss sich die Mannschaft konzentrieren. Man muss vielleicht Niederlagen wegstecken, man darf nach einem Sieg nicht abheben. Weil am nächsten Tag das nächste Spiel kommt. (Fritz Neumann, DER STANDARD, Printausgabe, Montag, 23. März 2009)