Endlosbaustelle Bahnhof Salzburg. Mehr über die Architektur der Festspielstadt gibt es im Buch "Living City 2" (Hg.: Müry, Spannberger; Verlag Anton Pustet) nachzulesen. (Foto: Andrew Phelps)

Foto: Andrew Phelps

Die Idee, das Salzburger Bahnhofsviertel zu einem zweiten Stadtzentrum - rund zwei Kilometer von der historischen Altstadt entfernt - auszubauen, stammt bereits aus den Nachkriegsjahren. Und sie hat bis heute nichts an Richtigkeit verloren. Im Gegenteil: Der anstehende Umbau des Hauptbahnhofs zu einem zeitgemäßen Nah- und Fernverkehrsknoten sowie die angelaufene Modernisierung des Schienennetzes im Land Salzburg legen - angesichts des Autoverkehrs und dessen Folgen für Umwelt und Klima - nahe, diesen Standort mit möglichst vielen urbanen Funktionen anzureichern. Dazu kommt die für Salzburg spezifische Problematik, kaum über Erweiterungsflächen zu verfügen, die nicht auch hochwertige Landschaftsräume darstellen. Insofern ist eine bauliche Verdichtung der zentral gelegenen Brachflächen von Post und ÖBB in mehrfacher Hinsicht vernünftig.

Wie die meisten Projekte zum Umbau von Bahnhofsvierteln wurden auch die Pläne für das Areal des Salzburger Hauptbahnhofs immer wieder über den Haufen geworfen und bis dato nur bruchstückhaft realisiert. Die Gründe: wechselnde Grundeigentumsverhältnisse, sich mehrmals ändernde Konzernstrukturen der Investoren sowie partikuläre Interessen der verschiedenen Akteure. So beschränkte sich die Umsetzung von Joachim Schürmanns siegreichem Wettbewerbsbeitrag aus dem Jahr 1986 auf die Tieferlegung der Salzburger Lokalbahn, die Errichtung einer Tiefgarage und die sich bis ins Jahr 1998 dahinschleppende Neugestaltung des dem Bahnhof vorgelagerten weitläufigen Südtiroler Platzes. Manch andere Ideen aus dieser Zeit, etwa der bereits behördlich genehmigte Abriss des jahrzehntelang angefeindeten 16-stöckigen Hotels Europa oder dessen stadträumliche "Kaschierung" durch davor hingesetzte Neubauten, blieben glücklicherweise unrealisiert.

Verströmende Tristesse

So erfolgreich am Südtiroler Platz die Neuordnung der komplizierten Verkehrsströme von O-Bussen, Regionalbussen, Taxis, privaten Autos, Radfahrern und Fußgängern gelang und so richtig die Zweiteilung des Freiraums in einen ruhigeren "grünen" Bereich aufseiten der angrenzenden Wohnbauten und in einen geschäftigeren "steinernen" Bereich unmittelbar vor dem Stationsgebäude war, so unbefriedigend ist heute die Vitalität des vermeintlich urbanen Bahnhofsvorplatzes. Das liegt zum einen an seiner, sagen wir bescheidenen - Gestaltung und zum anderen daran, dass die Österreichischen Bundesbahnen als dessen Grundeigentümer nicht sonderlich an seiner Belebung interessiert scheinen. Dies beginnt beim Brunnen in der Platzmitte, der - meist wasserlos - Tristesse verströmt, und endet beim geringen Engagement der Österreichischen Bundesbahnen für eine regelmäßige Bespielung dieses Ortes.

Als alle Grundeigentümer und Investoren des Bahnhofsviertels 15 Jahre nach dem Wettbewerb schließlich doch so weit waren, die Überbauung der ersten brachliegenden Areale in Angriff zu nehmen, waren die Planungen natürlich längst überholt. In einem neuerlichen städtebaulichen Wettbewerb setzte sich im Jahr 2004 Architekt Ludwig Kofler durch, dessen Bauten seit 2007 nach und nach in Betrieb gegangen sind: zunächst das 47 Meter hohe Verwaltungsgebäude der Salzburger Gebietskrankenkasse, im Spätsommer 2008 das neue "Forum", ein Komplex mit 8000 Quadratmetern Einzelhandelsfläche und einem bis zu 30 Meter aufragenden Hotelflügel, sowie jüngst - als Schlusspunkt der ersten Bauetappe - ein bis zu 25 Meter hoher Wohn- und Büroriegel, der sich unmittelbar entlang der Bahngleise erstreckt.

Die so geschaffenen Volumina passen - ebenso wie die hier angesiedelten Funktionen - für sich genommen durchaus zum Standort, der spätestens seit Errichtung des alten "Forums" mit den 17-geschoßigen "Zyla-Türmen" ohnehin über eine spezielle, großstädtische Maßstäblichkeit verfügt. Doch erzeugen Anordnung und Gestaltung der neuen Baumassen weder eine besondere stadträumliche Qualität, noch gehen sie auf das zentrale Gebäude dieses Quartiers ein - das nun einmal der Bahnhof von 1860 ist. Dessen linker Seitenflügel wird durch den Hotel-Aufbau des neuen "Forums" im wahrsten Sinn des Wortes überschattet. Dabei hätte die rund zehn Meter hohe Sockelzone des Neubaus die Dimension des gründerzeitlichen Baudenkmals aufgegriffen.

Visuelle Marginalisierung

Der hoch aufragende, fünfgeschoßige Hoteltrakt wurde jedoch unmittelbar an der Seite zum Bahnhof und nicht etwa - mit gebührendem Abstand - an der gegenüberliegenden Seite zum alten "Forum" hin draufgesetzt. So bleibt Ludwig Koflers dahinterliegender 13-geschoßiger Krankenkassenbau auch vom Bahnhofsvorplatz aus wahrnehmbar - allerdings um den Preis der visuellen Marginalisierung des historischen Stationsgebäudes.

An der gläsernen Hauptfront kommuniziert das neue "Forum" mit dem Südtiroler Platz, von wo es Kunden und Gäste anzuziehen versucht. An den beiden Seitenfronten dagegen ignoriert das baublockgroße Gebäude auf jeweils 150 Metern den angrenzenden öffentlichen Raum: Die komplette Ostseite entlang des Bahnhofsgebäudes dient der Warenanlieferung und Müllentsorgung des Einkaufszentrums, wodurch eine dauerhafte Verödung vorprogrammiert ist. An der Westseite schottet sich der Bau fast komplett ab, um - den Vorgaben der Shopping-Strategen folgend - die Besucherströme auf die Mall im Gebäudeinneren zu konzentrieren.

Die Rückseite des Konsum- und Hotelkomplexes umschließt mit dem neuen Hochhaus der Gebietskrankenkasse und einer achtgeschoßigen Scheibe mit über 100 Wohnungen eine akkurat gestaltete Restfläche samt wuchtigen Tiefgaragenentlüftungen, die weder ein parkartiges Wohnumfeld noch einen städtischen Platz darstellt. Wenig urbanitätsstiftend sind auch die Bauten selbst, die dem Wunsch der Bauträger entsprechend monofunktional sind: kein Laden im Erdgeschoß des GKK-Turms, kein Kindergarten in der Sockelzone des GSWB-Wohnbaus - obwohl die vertikale Nutzungsmischung von Gebäuden im internationalen Diskurs längst als Grundvoraussetzung für vitale Stadtteile gilt. Wird eine derartige Bebauung einer Stadt von der urbanistischen Qualität Salzburgs auch nur annähernd gerecht? Immerhin sollte am Bahnhof eine zweite City entstehen und kein (zwar hübsch designtes, aber trotzdem) banales Gewerbe- oder Wohngebiet!

Im Vorfeld der Planungen wurden, auch auf Initiative der freien Architekturszene der Stadt, interdisziplinäre Symposien veranstaltet, sozialwissenschaftliche Studien eingeholt, die Bürger miteinbezogen und schließlich Wettbewerbe durchgeführt - wie etwa jener für den Neubau des Bahnhofsgebäudes, dessen Siegerprojekt von Klaus Kada aus dem Jahr 1999 nun (nach jahrelangem Disput über Denkmalschutzansprüche) bis 2013 umgesetzt werden soll.

Insofern muss man den Planungsakteuren in Salzburg - der Baubehörde, dem Gestaltungsbeirat und den Architekten - durchaus zubilligen, nicht bloß den Interessen von Grundstückseigentümern und Bauherren entsprochen, sondern sich überdurchschnittlich stark an qualitativen Kriterien orientiert zu haben. Denn es gibt in Österreich bedeutend schlechtere Beispiele für die Verbauung von Bahn- und Postflächen - siehe das, was rings um den Wiener Hauptbahnhof geplant oder rund um den Linzer Hauptbahnhof gebaut wurde.

Realisierte Mittelmäßigkeit

Die bis dato realisierte Mittelmäßigkeit im Salzburger Bahnhofsviertel lässt somit auf eine grundlegende Krise des heimischen Städtebaus schließen. Wenn etwa die Wettbewerbsjury Ludwig Koflers "freie Komposition von Baukörpern unterschiedlicher Volumen und Höhen" als "richtige Antwort auf das disparate Umfeld" hervorhebt und als wesentliches Entscheidungskriterium erachtet (vgl. N. Mayr: Stadtbühne und Talschluss, 2006), dann offenbart dies eine erschreckend formalistische Denkweise vieler "Experten" in einem abgehobenen Maßstab von 1:500, in einer der tatsächlichen Sicht des Stadtnutzers entrückten Perspektive. Denn solcherart Betrachtungen haben mit der Gestaltung eines attraktiven Platzes, einer belebten Straße und eines urbanen Stadtquartiers nur sehr wenig zu tun.

So erfolgreich die Neuordnung der Verkehrsströme von Bussen, Autos, Radfahrern und Fußgängern gelang, so unbefriedigend ist heute die Vitalität des Bahnhofsvorplatzes. (DER STANDARD, Album, 21./22.3.2009)