Standard: Geschichtsschreibung war einmal eine Disziplin der Rhetorik. Der Historiker sollte das Geschehene glaubhaft zum Ausdruck bringen. Wie wichtig ist der Historiker im Dramatiker Franzobel?
Franzobel: Ich sehe mich nicht als Historiker, eher als Geschichtenverdichter. Das Leben erzählt die spannendsten Geschichten, macht Schlenkerer, die man sich nicht ausdenken kann. Ich habe mich früh mit Biografien befasst. Hermes Phettberg, Kronprinz Rudolf, Mozart, Jack Unterweger. Mir fällt das Schreiben leichter, wenn ich die Folie einer realen Geschichte habe.
Standard: Und die Historienstücke?
Franzobel: Es inspiriert mich enorm, mit Zeitzeugen zu reden. Beim Schreiben muss ich mich von diesen recherchierten Vorgaben lösen, damit die Menschen zu literarischen Personen werden können. Ich will ja kein Dokudrama machen, eher volksstückhafte Passionsspiele.
Standard: Was hat Frau Milli Deutsch, die historische Hauptfigur Ihres Stücks, dazu bewogen, ihre Geschichte einem Dichter zu übergeben und öffentlich zu machen?
Franzobel: Frau Deutsch hat mit 88 Jahren ein Alter erreicht, in dem sie die eigene Geschichte weitergeben oder aufgehoben wissen will. Sie war im Widerstand, hat fast zwei Jahre lang verfolgte Menschen beherbergt und damit das Leben ihres Kindes und ihrer Eltern aufs Spiel gesetzt. Erst in den 1990er-Jahren hat sie ihrem Sohn davon erzählt. Milli Deutsch war eine äußerst couragierte Frau, ohne die dieser Widerstand nicht möglich gewesen wäre.
Standard: Wie sehr zensurieren Sie sich im Fall von "Prinzessin Eisenherz" , weil Sie auf das gelebte Leben der historischen Protagonistin Rücksicht nehmen?
Franzobel: Natürlich gibt es eine Grundbefangenheit. Frau Deutsch ist eine sehr charmante, bewundernswerte Dame, die man nur beschützen und verehren will. Beim Schreiben muss das ausgeklammert werden, sonst ist die Theaterfigur zu eindimensional.
Standard: Das ist einfach gesagt. Besprechen Sie das mit ihr?
Franzobel: Man beginnt beim Schreiben in einem Niemandsland. Alles, was vorher und nachher passieren wird, spielt keine Rolle. Dazwischen liegt das Ringen mit der Sprache. Im konkreten Fall hat mir der Sohn von Frau Deutsch geholfen und mich auf Stellen aufmerksam gemacht, wo die Fantasie mit mir durchging.
Standard: Das Theater bringt da eine Geschichtsschreibung in Gang, welche die wissenschaftliche Forschung in dieser Breite nicht erreichen könnte.
Franzobel: Ich mag zwar das Wort nicht, weil etwas Unverrückbares mitschwingt, aber die Aufführung ist tatsächlich eine Art Denkmal. Das Theater holt nach, was die Gesellschaft verabsäumt hat.
Standard: Sie drohen zum Aufarbeiter vom Dienst zu werden. Warum immer die NS-Zeit?
Franzobel: Weil sie die Menschen ins Extreme getrieben hat: extrem grausam, extrem heldenmutig-blöd, größenwahnsinnig, extrem unfrei. Mich interessiert der Faschismus der Gegenwart. Wir sehen die dunklen Wolken der Wirtschaftskrise heranziehen, hören es donnern und hoffen, dass das Unwetter vorbeizieht. Massenarbeitslosigkeit, Sündenböcke, starke Männer sind jetzt wieder vorstellbar.
Standard: Das Österreichische an Ihren Themen ist Ihnen nicht wichtig, sagten Sie einmal. Die konkreten Fälle sind aber doch recht auffällig österreichisch.
Franzobel: Ich könnte natürlich auch über Ruanda oder Sibirien schreiben. Aber es ist glaubhafter, wenn ich Kunstformen des Dialekts erproben, eine dichterische Demontage und Politur der Umgangssprache betreiben kann. Mittlerweile komme ich mir wie der Nestroy vor, der wird auch nur in Österreich und Süddeutschland gespielt.
Standard: Ist Ihre manchmal barock wuchernde Sprache eine Fortsetzung Ihres visuellen Denkens?
Franzobel: Ich denke sehr bildhaft, Grundkonzeptionen beginnen bei mir meist in Bildern. Das Wuchern kommt aus einem inneren Rhythmus, einer anarchischen Verspieltheit. Ich bin kein Dichter der Leere, die langweilt mich. Ich liebe die Fülle und das Übertriebene.
(Margarete Affenzeller, DER STANDARD/Printausgabe, 20.03.3009)