Wer sind in Russland die bedauernswerten Verlierer des Rubel-Absturzes und der durch den Ölpreisverfall ausgelösten Wirtschaftskrise? Jene fünfundzwanzig reichsten Russen, die allein zwischen Mai und Oktober vergangenen Jahres bereits rund 230 Milliarden Dollar verloren haben. Zu diesen gehört auch Jelena Baturina, eine ehemalige Fabrikarbeiterin, die noch vor kurzer Zeit nach Angaben des US-Magazins Forbes mit 4,2 Milliarden Dollar die reichste Frau Russlands war. Die Frau des mächtigen Moskauer Bürgermeisters Jurij Lutschkow hatte zuerst Plastikgeschirr verkauft und bereits 1997 Aufsehen erregt, als sie den Auftrag erhielt, 80.000 Plastiksitze für Moskaus größtes Stadion zu liefern. Ihr großer Baukonzern geriet in Not. Die luxusverwöhnte Geschäftsfrau bat den Staat um 1,4 Milliarden Dollar, um die Kredite bedienen und ihre Firma retten zu können. Die Entscheidung über alle Hilferufe trifft der Kreis um das Duo Putin-Medwedew an der Spitze des Staates und der Regierung.

Auch Oleg Deripaska, einst Russlands reichster Mann, hat durch die Krise 90 Prozent seines Vermögens eingebüßt und fiel auf den achten Platz auf der Liste der Superreichen zurück. Der Besitzer angeschlagener Nickel- und Aluminiumkonzerne hat sich mit der Bitte um einige Milliarden Dollar an den Staat gewandt. Nichts könnte die Drehungen im Herrschaftsgefüge besser illustrieren als das Gerücht, wonach Deripaska angeblich am Gang vor dem Büro eines Ministers auf seinen Termin warten musste. Wegen der 2014 fälligen Olympischen Winterspiele in Sotschi, einem Lieblingsprojekt Putins, braucht man freilich um Deripaskas Zukunft kaum bangen. Allerdings sagte der Wirtschaftsberater von Präsident Medwedew kürzlich unbeeindruckt: "Wir werden niemanden retten."

Anders die Moskauer Soziologin Olga Khryschtanowskaja, die bereits 2004 "die Cliquenwirtschaft der ehemaligen Geheimdienstler und der Militärs" in einem Buch beschrieben hat. Jetzt sagt sie: "Der Kreml hat alle Hebel in der Hand. Wenn sie helfen wollen, dann werden sie helfen. Wenn sie nicht helfen wollen, dann werden sie sagen: 'Wir liberalisieren jetzt; die Verhältnisse auf dem Markt werden entscheiden, wer von euch überlebt.'"

Auch das Schicksal des im Oktober 2003 verhafteten und dann wegen Betrug zu acht Jahren verurteilten ehemaligen Vorstandes des inzwischen zerschlagenen Ölkonzernes Yukos, Michail Chodorkowski, und seines Mitangeklagten Platon Lebedew hängt völlig von der Willkür der russischen Machthaber ab. Statt der möglichen Freilassung im Herbst stehen sie nun vor einem neuen Prozess wegen "Unterschlagung und Diebstahl". Man erwartet das Schlimmste, die beiden könnten zu weiteren 20 Jahren verurteilt werden, heißt es in Moskau. Chodorkowski wollte sich, wie einst die Rockefellers und der Exilungar George Soros, vom Raubritter zum Wohltäter und zum Förderer der Liberalisierung in Russland wandeln. Der Rechtsphilosoph Andrej Kolesnikow schrieb in der Internetzeitung Gaseta.ru: Das Putin-Regime könne es sich nicht leisten, Chodorkowski davonkommen zu lassen. Er werde so lange in Haft bleiben, wie dieses Herrschaftssystem andauere. (Paul Lendvai, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.03.2009)