Anneke Kim Sarnau (Mi.), Devid Striesow (li.) und andere Generationenstellver-treter in "Sie haben Knut" von Stefan Krohmer.

Foto: Diagonale

"Wer könnte leben ohne den Trost der Bäume?" Fragen dieser Art waren in den Achtzigerjahren weit verbreitet. Weil die Atomgefahr gar zu übermächtig schien, beschäftigten sich viele politische Aktivisten mit dem Zustand des Waldes. Selbst im Skiurlaub ging es nebenbei immer ums Ganze. "Das merkt ihr vielleicht nicht, aber ich reiß mir hier ziemlich den Arsch auf", sagt einer der jungen Männer in Stefan Krohmers Film Sie haben Knut an einer Stelle.

Es ist ein Satz, der den Sound der Ära perfekt nachvollziehbar macht. Ein gutes Dutzend Leute hat sich in einer Skihütte in der Tiroler Wildschönau eingefunden. Man will frische Luft, Bewegung, Gitarre spielen, trommeln und vielleicht sogar ein bisschen Liebe. Vorerst aber gibt es noch ein Problem: Knut, "über" den fast alle gekommen sind, ist nicht da. Vielleicht "hat irgendeine Sitzblockade länger gedauert", vielleicht aber ist er in die Hände der Gegner, des Staats und der Polizei gefallen.

Die Zeit der Abwesenheit der charismatischen Integrationsfigur wird in Sie haben Knut zu einer Zeit der freien Entfaltung persönlicher Kräfte. Jede der Figuren, die Krohmer und sein großartiger Drehbuchautor Daniel Nocke entwerfen, sucht nach ihrem Ort in einem aus Eigenheiten, Liebeshoffnungen, Abgrenzungen verdichteten Gewebe, das soziales Leben vor allem dann bestimmt, wenn die Beteiligten in einem hohen Maß Bewusstsein für sich selbst haben und doch nicht die geringste Souveränität an den Tag legen. Mit Sie haben Knut wurde Stefan Krohmer 2004 einem größeren Publikum bekannt. Die Distanz von zwanzig Jahren zu der erzählten Zeit ist groß genug, um schon von einem "period picture" sprechen zu können.

Das zeichnet viele der Filme von Krohmer aus, dem die Diagonale dieses Jahr eine Personale widmet: Bei aller Konzentration auf Sujets aus dem privaten, familiären Leben ist dieses Werk, das zum größeren Teil fürs Fernsehen produziert wurde und auf dem Festival mit guten Gründen im Kinokontext präsentiert wird, genau durch die politische Qualität des Privaten geprägt, auf die in den Achtzigerjahren so viel Wert gelegt wurde.

Ob in Familienkreise die Rückkehr eines starken Vaters (Götz George) ein fragiles Gefüge durcheinander bringt, oder in Sommer 04 ein Urlaubsflirt das ganze Ausmaß an Gefühlen erst freisetzt, für das im Alltag kein Platz wäre - Krohmer und Nocke interessiert dabei auch immer, wie sich das in den Subjekten niederschlägt, was man damals "das Gesellschaftliche" nannte.

Die triviale Milieutheorie, auf die das häufig hinauslief, wird dabei immer an den individuellen Figuren geschärft. Sie haben Knut hält eine perfekte Balance zwischen der Vielzahl der Charaktere, sie haben alle ihre Momente der Stärke oder der Schwäche, der Wahrheit oder der Verbohrtheit.

Die Generation derer, die 1983 Mitte zwanzig waren, prägt heute das Leben in den mitteleuropäischen Gesellschaften. Stefan Krohmer und Daniel Nocke sind Chronisten dieser Generation, bei der Diagonale kann man erstmals ein Werk, das sich inzwischen selbst über eine ganze Dekade erstreckt, in einem Zusammenhang sehen, der eine historische Perspektive auf die eigene Gegenwart erlaubt. (Bert Rebhandl, SPEZIAL - DER STANDARD/Printausgabe, März 2009)